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Auf Wiedersehen, Belarus! Да пабачэння, Беларусь!

Alla Stashkevich, Tatjana Bembel und ich mit der Handreichung zu den Museumsseminaren.

Nun ist es soweit, nach drei Jahren geht unsere Zeit in Minsk zu Ende. Für mich war es eine anregende, spannende und lebhafte Zeit, die wohl einmalige Chance, als Slavistin und langjährige Russlandreisende endlich einmal in der Kultur- und Sprachregion zu leben, deren Studium ich mir zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe. Auf meinen Wegen durch dieses für viele noch immer unbekannte Land haben mich Menschen begleitet, denen ich für ihr Vertrauen danke. Sie haben mich an die Hand genommen auf meinen Erkundigungen durch die Museums- und Kulturlandschaft, bei der Erforschung und der teilweise schmerzvollen Erinnerung an die tragische Geschichte, die unsere beiden Länder verbindet, sowie bei meinen Ausflügen in die verbindende Welt des Sports, allen voran des Dressurreitsports. Sie alle werde ich vermissen!

Mit dem Rückumzug nach Deutschland endet auch der Blog. Zwar ließe sich auch von Deutschland aus eine Kommentierung der Museums- und Kulturszene fortsetzen. Da es noch immer recht wenig Informationen zur aktuellen Kulturlandschaft in Belarus gibt, würde das einer Annäherung und dem gegenseitigen Austausch auch gut tun. Dennoch scheint mir die Beendigung des Blogs folgerichtig, da ich diese Form der freien Rede, kurzer Kommentare und persönlicher Eindrücke in der Absicht gewählt hatte, um meine punktuellen, nicht immer systematischen Beobachtungen im Lande zu notieren. Dieser unmittelbare Zugang ist nun nicht mehr gegeben.

Unser Rückumzug nach Deutschland ist zugleich auch die Schließung des deutschen Militärattaché-Stabes in Minsk, d.h. es wird kein Nachfolger kommen. Zu den vorausgegangenen Verwicklungen hatte ich berichtet, sie haben letztlich zu diesem Schritt geführt, für dessen Einschätzung und Bewertung dieser Blog nicht der richtige Ort ist. Diesen Moment hat die Belarussische Militärzeitung zum Anlass genommen, ein lange geplantes Interview mit meinem Mann, Niels Janeke, zu führen. Seine Publikation ist ein Überblick und Rückblick auf die Arbeit des Militärattachéstabes der letzten drei Jahre aus belarussischer Sicht.

Foto zum Artikel in der Belarusskaja Voennaja Gazeta, 26.6.2013

Was mich betrifft, so werde ich auch weiterhin mit meinen belarussischen Kollegen in verschiedenen Projekten zusammenarbeiten und meinen Teil dazu beitragen, die kulturellen Kontakte auszubauen und zu vertiefen. Sofern es dazu etwas zu berichten gibt, tue ich dies nter der Rubirk Aktuelles auf meiner Website. Die aktuelle und regelmäßige Analyse überlasse ich anderen, die noch näher dran sind, weil sie im Land leben oder sich ausschließlich Belarus widmen. Ihre Blogs und Websites sind in der Rubrik Links genannt.

Dank dieser Mischung aus Internet und persönlichen Kontakten wird Belarus weiterhin eine wichtige Rolle in meinen beruflichen und persönlichen Interessen spielen. Ich habe das Land schätzen und lieben gelernt und will es nicht wieder verlieren. Auf Wiedersehen, Belarus! Да пабачэння, Беларусь!

Vorbereitungen auf den Jahrestag der Befreiung 2014

Seit kurzem gibt es ein offizielles Komitee, das sich mit den Vorbereitungen der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung von den nationalsozialistischen Besatzern 1944 befasst (BelaPan 21.5.2013). Vorsitzender des Komitees ist der Premierminister Michail Mjasnikovich, weitere Mitglieder sind Regierungsbeamte, Journalisten, Vertreter der Veteranenorganisationen (auch Afghanistan!), die Armee, verschiedene Berufsverbände u.a.

Außer um die Planung von Veranstaltungen geht es auch um die Verbesserung des Lebensstandards der Veteranen, die Verbreitung des Patriotismus [sic!] und die Instandsetzung von Denkmälern. Schon lange ist ja die pünktliche Eröffnung des neuen Museums zum Großen Vaterländischen Krieg angeordnet und, weil das offenbar nicht klappt, der Direktor gerade gefeuert worden. Es bleibt abzuwarten, ob der neue Direktor (ein pensionierter General aus der Truppe, ohne Museumserfahrung, versteht sich) dieser Herausforderung gewachsen sein wird. Noch ist der alte Direktor Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates und zieht den einen oder anderen Faden. Aber er steht schwer unter Beschuss von Seiten des Kulturministeriums und der Regierung und es ist fraglich, wie lange das noch so weiter geht. Erste Gerüchte streuen bereits Zweifel am Eröffnungstermin im kommenden Juli.

Bayern und Belarus

Allzuviele Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte gibt es hier wohl nicht. Immerhin gibt es seit Febraur 2012 in Generalkonsulat in München. Bemerkenswert ist aber etwas anderes: Ein bayerisches Tourimusportal nutzt die Top-Level-Domain .by: www.bayern.by

Mir ist das überhaupt nur aufgefallen, weil sich mir .by (in Belarus mit Genuss gesprochen: „totschka bi uai“) als Domai eben für Belarus bzw. Weißrussland eingeprägt hat. Ob die bayerischen Tourismusexperten das wissen??

Das sowjetische Minsk

Foto: http://www.spiegel.de/fotostrecke/widerstand-in-weissrussland-schule-im-untergrund-fotostrecke-92495.html

Im November 2012 veröffentlichte das Stadtmagazin WHERE MINSK eine Übersicht über die noch heute nach kommunistischen Führern oder entsprechenden historischen Ereignissen benannten Orte in Minsk. Demnach gibt es noch ganze 16 Lenindenkmale in Minsk, 40 Straßen sind nach Lenin, Marx, der Pariser Kommune und anderen kommunistischen Helden(-taten) benannt, 3 Firmen bzw. Geschäfte führen die Namen „Kommintern“, „Kommunarka“ und „Roter Lebensmittelverkäufer“ [sic!], 4 Durchhalteparolen an der Metro Oktrjabrskaja sind noch immer in Stein gemeißelt zu bewundern und 4 Zeitungen heißen „Roter Oktober“, „Oktoberweg“, „Licht des Oktober“ und „Flagge des Oktober“. Straßen mit religiösen Namen und Bezeichnungen gibt es dagegen keine einzige, nachdem die „Lutherstraße“ 1966 umbenannt wurde.

Auch wenn viele Betrachter von außen diese Seite der Vergangenheit deutlich in Politik und Gesellschaft auszumachen meinen, so spielt sie für die belarussischen Marketing- und Tourismusexperten keine Rolle. Für die Marke Minsk, über die sich derzeit alle hier den Kopf zerbrechen, gelten andere Bezugspunkte. Beauftragt mit der Markenbildung wurde ausgerechnet eine britische Firma, die bereits Ergebnisse vorgelegt hat. Folgt man dem Reiseführer Lonely Planet, so hätte man durchaus auch den Kommunismus zur Markenbildung heranziehen können: Seine Autoren bezeichnen die Stadt als „Kommunismus mit Cappuchinogeschmack“, wie MINSK WHERE treffend zitiert.

Reiseportal „100 Wege“ in Belarus

Der „erste interaktive und multimediale Atlas von Belarus“ befindet sich hier. Hier findet man für viele Orte und Städte verschiedene individuelle Reiseberichte mit zum Teil tollen Fotos. Sinn und Zweck des Projekts ist es, seine eigenen Reiseerfahrungen und Fotos auf der Landkarte zu verorten und einzustellen.

Angesichts der mehr als dürftigen Reiseliteratur über Belarus ist das ein willkommenes Informationsangebot, zumal es einige Kuriositäten zu entdecken gibt, die wahrscheinlich sowieso in keinem Reiseführer stünden.

Ergänzt wird das Angebot durch Links zu journalistischen Reisereportagen, weiteren Fotostrecken und Berichten über historische Spurensuchen, Videos und Audioberichte. Der Link zu den „Nachbarn“ schließlich ermöglicht einen Blick nach Polen und Litauen, der mit bisher sehr wenigen Angeboten freilich noch recht knapp ausfällt. Trotzdem – ein Blick lohnt sich für alle, die originelle Ausflugsziele suchen.

Belarus auf der Buchmesse in Leipzig

Gerade geht die Leipziger Buchmesse zu Ende (14. bis 17. März 2013). Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Literatur aus Polen, der Ukraine und Belarus.  Das Portal www.literabel.de stellt Autoren aus Belarus vor und bietet Texte auch in deutscher Sprache. Im Vorfeld der Messe hatte literabel aktuelle Literaturtermine mit belarussischer Beteiligung zusammengestellt, neben Leipzig auch in Dresden und Berlin. Hier seien die Neuerscheinungen genannt.

NEUERSCHEINUNGEN

Valentin Akudowitsch: Der Abwesenheitscode. Versuch, Weißrussland zu verstehen. Aus dem Russischen von Volker Weichsel. Suhrkamp 2013. http://www.suhrkamp.de/buecher/der_abwesenheitscode-valentin_akudowitsch_12665.html

Valzhyna Mort: Kreuzwort. Gedichte. Aus dem Englischen von Uljana Wolf und Katharina Narbutovič. Suhrkamp 2013.http://www.suhrkamp.de/buecher/kreuzwort-valzhyna_mort_12663.html

Dossier „Zensur“ in Literatur und Kritik Nr. 471/472-2013, herausgegeben von Martin Pollack, mit Beiträgen von Viktar Marcinovič, Alhierd Bacharevič, Nił Hilevič u.a. http://www.omvs.at/de/literatur-und-kritik/aktuelle-ausgabe/

RADAR 1(7)-2013 mit Texten aus Belarus, Polen und der Ukraine, u.a. von Valancin Akudovič, Uładzimier Arłoŭ, Andrej Fiedarenka, Palina Kačatkova und Valžyna Mort. http://e-radar.pl/pl,strona,3.html

Aleś Razanaŭ: Punktierungen. In: Akzente 2/2013 (April)

Das Museum der belarussischen Staatlichkeit

Wer hätte das gedacht: Ich war tatsächlich drin! Bis zum letzten Moment dachte ich, die Miliz würde mich vielleicht noch abweisen, Gründe hätte es ja genug gegeben: Ausländerin und auch noch Ehefrau des deutschen Verteidigungsattachés. Außerdem hatte es wohl noch einen Rückstau im Kulturministerium gegeben, wie man munkelt, ob unsere Gruppe von Seminarteilnehmern am Goethe-Institut zugelassen werden soll, aber letztlich hat sich alles gefügt: Nach ca. vierwöchiger Prüfung unseres Antrags, hatten wir einen Termin im Präsidentenmuseum. Den wir uns freilich nicht aussuchen konnten, aber sei’s drum.

So hatten wir passend zum Abschluss unserer Seminarreihe zum Ausstellungs- und Museumsmanagement für Mitarbeiter verschiedener belarussischer Museen die Gelegenheit, das aktuell wohl am besten ausgestattete Museum des Landes zu besichtigen. Über die Hintergründe und Inhalte hatte ich hier bereits berichtet, ich beschränke mich also hier auf meine persönlichen Eindrücke.

Geführt hat uns ein junger Mann mit bleichen Gesichtszügen und stoischer Mine, der insofern meine ganze Aufmerksamkeit hatte, als er uns in verblüffenden Ähnlichkeit mit Jesus Christus gleichsam entrückt von den politischen Niederungen des Museumsgegenstandes äußerst versiert und professionell mit Hilfe des guten alten hölzernen Taktstocks UND – – – einem IPad durch die Ausstellung lotste. Damit verwies er auf herausragende Exponate in sündhaft teuren Panzervitrinen aus Deutschland und setzte wahre Wunderwerke an multimedialen Präsentationen auf neuester Technik in Gang.

Viel Technik, gesteuert durch das IPad und den hölzernen Zeigestock!

Damit ist die Faszination dieses Museums auch schon umrissen: Es ist weniger die konservativ umgesetzte Erzählung der Errungenschaften der Republik Belarus (seit 1994), als die geradezu unglaublich aufwendige Gestaltung durch Licht, Technik und Interaktion. Ganz eindeutig zielt diese Inszenierung auf Überwältigung und nicht auf Auseinandersetzung, denn von einem aktuellen Stand moderner Museumspräsentationen kann nicht die Rede sein. Die Exponate sind aneinandergereiht, zu thematischen Blöcken (Sport, Medizin, Landwirtschaft etc.) zusammengefasst und mit kurzen Bezeichnungen (immerhin auf belarussisch und englisch) versehen. Erklärungen, Geschichten und Hintergründe fehlen ganz, die einleitenden Raumtexte geben lediglich einen Überblick über die Heldentaten des Landes (= des Präsidenten) in dem jeweiligen Bereich. Diese sind durchaus nicht immer von der Hand zu weisen, es ist vielmehr, wie so oft, sehr ambivalent: Würde man die Propaganda weglassen, die Themen mutiger und pointierter präsentieren, so stellte sich sicherlich ein überwiegend positiver und sympathischer Eindruck von Belarus ein. Angesichts der gelenkten und zielgerichteten Darbietung ist man, zumal als professioneller Besucher und/oder Ausländer, jedoch leider gleich in einer Abwehrhaltung.

Zum Schluss erwartete uns noch eine ganz besondere Überraschung: Das elektronische Gästebuch. Ein solches Exemplar gibt es hierzulande nur noch einmal, nämlich im Janka-Kupala-Museum. Nur dass dieses Exemplar hier auch noch ein Gruppenfoto anfertigt und ausdruckt, das man gleich mitnehmen kann. Für seinen Eintrag hinterlässt man seinen Kommentar auf einem riesigen Bildschirm mit einem Spezialstift in Handschrift und muss sich für einen der meist kitschig gestalteten Hintergründe entscheiden. Die Beiträge der anderen lassen sich ebenfalls „durchblättern“. Viele waren es noch nicht, das Museum hat erst im Sommer letzten Jahres eröffnet, aber Ausländer waren auch schon da, darunter auch Deutsche, die im Rahmen einer Wahlbeobachtung hier waren. Einer von ihnen hinterließ einen Kommentar, dem nichts mehr hinzuzufügen ist: „Luka, Dein Museum ist geil!“

Nochmal: Die Skarina-Bibel

Foto: http://www.belmarket.by/ru/194/115/15301/%D0%9E%D0%B1%D1%8A%D0%B5%D0%B4%D0%B8%D0%BD%D1%8F%D1%8E%D1%89%D0%B8%D0%B9-%D1%8D%D0%BB%D0%B5%D0%BC%D0%B5%D0%BD%D1%82.htm

Wichtig und nötig scheint mir noch ein Annex zur Ausstellung der Skarina-Bibel aus Görlitz in Minsk im Oktober 2012. Damals wurde dieses besondere Werk im Jahr des Buches, zum 90. Jahrestag seit der Gründung der Nationalbibliothek und im Rahmen der Deutschen Woche zuerst in der Nationalbibliothek, dann im Schloss Nezvizh ausgestellt (BelaPan 4.10.2012).

Den deutsch-belarussischen Charakter, den dieses Buch auszeichnet, spiegelte auch die gemeinsame Projektrealisation durch das Kulturministerium und die Deutsche Botschaft wider. Ein Vertreter der Deutschen Botschaft nannte die Bibel ein „verbindendes Element“, das kaum zu überschätzen sei, und Franziska Skarina den Gutenberg von Belarus.

Angereist aus der Bibliothek in Görlitz, wo die Bibel seit 1527 lagert, war Matthias Wenzel, der die Bibel 2003, wie er selber sagt, im Rahmen einer Ausstellungsvorbereitung zufällig entdeckt hat. Dieses Exemplar ist das einzige in Deutschland. Es erschien zwischen 1517 und 1519 in Prag in alter belarussischer Sprache. Zuerst haben es die Experten gar nicht geglaubt, dass neben den bisher bekannten Exemplaren der Sakrina-Bibel noch ein weiteres existieren könnte. Untersucht und bestätigt hat es dann der ausgewiesene und um die belarussische Literatur verdiente Slawist Norbert Randow (vgl. seine Veröffentlichung dazu im Görlitzer Magazin 18/2005), wo der die historischen Stationen und die Geschichte der Bibel darlegt. Ergänzend dazu seinen ein Aufsatz von Peter Wenzel über „Görlitz 1945“ in demselben Heft sowie ein Text von  Jasper von Richthofen über „Kriegsverlust und Beutekunst“ am Beispiel von Görlitz in Görlitzer Magazin 23/2010 empfohlen. Mit allen Beiträgen entsteht ein rundes Bild über diese einzigartige Bibelausgabe, die nicht nur über die Verbreitung der Bibel in verschiedenen Sprachen im 16. Jh. und die Geschichte des Buchdrucks in Osteuropa erzählt, sondern über die Geschichte der deutsch-belarussischen Beziehungen.

Da die Bibel die belarussischen Sammlungen, in der sich 10 der insgesamt 260 bekannten Ausgaben befinden, gut ergänzen würde, wurde vereinbart, eine digitale Kopie für die Nationalbibliothek anzufertigen.

Bei der Eröffnung der Ausstellung sagte der damals noch amtierende belarussische Kulturminister Pawel

Latuschko: „Diese Ausstellung ist der Anfang eines internationalen Projekts zwischen Belarus und Deutschland, das seit Jahren vorbereitet wurde. Um historische und kulturelle Kostbarkeiten, die aus verschiedenen Gründen aus Belarus verschwunden waren, wieder zu gewinnen, soll eine große Arbeit geleistet werden. Außerdem ist es so, dass die gegenwärtige Gesetzgebung in einigen Staaten nicht erlaubt, einst ausgeführte oder enteignete Schätze oder Raritäten in das jeweilige Herkunftsland zurückzubringen. Deshalb sehen wir uns gezwungen, uns an Privatsammler in der ganzen Welt zu wenden, Ausstellungen zu organisieren und digitale Kopien anzufertigen. Diese Skorina-Ausstellung ist ein Beispiel für eine wenn auch indirekte Rückkehr des kulturell-historischen Erbes nach Belarus. Das Konvolut wurde von den Mitarbeitern der Nationalbibliothek bereits digitalisiert, so dass eine Kopie für immer in unserem Land bleibt“ (BelTA).

Auf den Spuren zeitgenössischer Kunst oder Sabine in Minsk

Neulich besuchte mich meine Kollegin und Freundin Sabine Hänsgen in Minsk. Seit vielen Jahren unermüdlich im Einsatz für die russische und informelle Kunst, war es an der Zeit, auch einmal die Lage in der letzten Diktatur Europas zu untersuchen. Drei Tage hatten wir zur Verfügung und sind kreuz und quer um die Kunsthäuser in Minsk gezogen. So wenig wie unsere Wege so folgen auch meine Aufzeichnungen dazu einem Konzept. Sie dienen allein dazu, einige Namen und Orte festzuhalten, die neben vielen anderen eine Rolle ind er zeitgenössischen Kunst von Belarus spielen.

Der Anlass der Reise für Sabine war ein Workshop im Goethe-Institut zu einem ihrer letzten Projekte zu dem Film „Der gewöhnliche Faschismus“ von Michael Romm. Folgerichtig haben wir daher zunächst das Filmmuseum besucht, das mich wirklich beeindruckt hat und einen Besuch auf jeden Fall wert ist. Interessante Gespräche hatten wir mit Tatjana Bembel. In „ihrer“ Galerie Shchemeljova lässt sich vielleicht ein gemeinsames Projekt realisieren; den Ausgangspunkt weiterer Überlegungen bilden die Projekte der Künstlergruppe Aspei.

Eindrücke zur zeitgenössischen Kunst in Belarus hat uns ein Gespräch mit der Direktorin des Museums für zeitgenössische Kunst, Natalja Scharangovich, gegeben. Scharangovich war zuletzt beteiligt an dem belarussischen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2011 und dem dort präsentierten Projekt „Kodex“. Dazu liegt eine englisch-russische Broschüre vor mit einem Text über die belarussische Kunst im 20., Jh. (von Michail Borozna) sowie die zeitgenössische Kunst in Belarus (von Ekaterina Kenigsberg), die, das können wir bestätigen, in Westeuropa noch immer „ein weißer Fleck“ ist. Eine spannende Ausstellung des Museums für Zeitgenössische Kunst war zuvor nur in Moskau zu sehen gewesen, die  Ausstellung “Belart.by Junge Künstler aus Belarus” (2010) (es gibt eine dreisprachige Broschüre). Beteiligt waren 48 Künstler aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Graphik, Keramik u.a., darunter viele internationale Preisträger wie Ruslan Vaschkevich (auch Triennale 2012), Anna Tichonova (selbst Abteilungsleiterin im Museum für zeitgenössische Kunst) und Konstantin Selichanov (auch Triennale 2012). Wie im Kontext der Biennale wurde auch hier Tschernobyl als ein „wesentlicher Kulturfaktor“ in Belarus bezeichnet (so im Vorwort von Natalja Scharangovich  und Michail Borozna).

Weiterhin trafen wir Olga Rybchinskaja, Kuratorin und Expertin für die zeitgenössische Kunst in Belarus (zuletzt aktiv beim Public-Art-Projekt des Goethe-Instituts, auch aktiv als Autorin, z.B. im  Katalog „Journey to East“ mit einem Aufsatz über die zeitgenössische Kunst in Belarus). Von ihr stammt eine von zwei Ausstellungen mit junger Kunst aus Belarus im Jahr 2012, die Sonderausstellung „Belarussisches Klima“.

Wie in der im Sommer in einer alten Halle der Fabrik Horizont präsentierten Ausstellung „Radius Nulja“ konnte man hier einen Einblick in die noch immer kleine und jenseits der Landesgrenzen wenig bekannte Szene erhalten. Von ihr erfuhren wir von dem wohl einzigen Aktionskünstler in Belarus, Ales Puschkin, der im Exil lebenden Marina Napruschkina, dem Fotokünstler Alexey Shlyk oder auch Igor Savchenko.

Ein eher offiziell geprägtes Bild der zeitgenössischen Kunst des Landes, präsentierte gerade in dieser Zeit die Triennale . Sie war auch der Grund, warum wir Konstantin Selichanov nicht mehr in seinem Atelier besuchen konnten, dafür aber mehr Zeit hatten für einen nachhaltig beeindruckenden Abstecher in die Wohn- und Arbeitsdachstube von Vladimir Tselser .

Von welcher Seite auch immer man sich dem Thema nähert – es tut sich etwas im Bereich der Gegenwartskunst. Noch sind es wenige, die sich dafür interessieren, doch langsam, aber sicher erobert sie sich ihren Raum in der Gesellschaft. Davon kann man sich jederzeit in der Galerie Ŷ überzeugen, aber dorthin haben wir es am Ende leider nicht mehr geschafft. Aber Sabine kommt sicher wieder mal nach Minsk.

Eine Ausstellung von Anatolij Nalivaev im Museum der ersten Sitzung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

Hier gilt es gleich zweifach, mich über meinen letzten Museums- und Ausstellungsbesuch zu freuen. Aus Anlass der genannten Ausstellung war ich zum ersten Mal in dem kleinen Museum in der Nähe des Siegesplatzes. Beides hat sich gelohnt.

Die Ausstellung zeigte ca. 20 Bilder des noch lebenden belarussischen Künstlers und vielseitigen Kulturschaffenden Anatolij Nalivaev (geb. 1931). Dieser hat nach dem Krieg bis in die 60er Jahre Skizzen und Aquarelle zerstörter Teile und Gebäude von Minsk festgehalten und diese später in Gemälde umgesetzt. Dies ist deshalb so wertvoll, weil das Fotografieren der Stadt in der Nachkriegszeit verboten war. In der Ausstellung war eine Auswahl dieser Bilder, schwerpunktmäßig ehemaliger jüdischer Einrichtungen wie Synagogen, Gymnasien, Bethäuser, Wohnhäuser und Geschäfte zu sehen. Die Objektbeschriftungen gaben Auskunft darüber, in welcher Straße die Gebäude gestanden hatten bzw. heute noch stehen, und wofür sie heute genutzt werden. Damit entsteht ein sehr lebendiges und erweitertes Bild der Stadt. Noch besser hätte man sich das vorstellen können, wenn die Kuratoren einen Stadtplan in die Ausstellung integriert hätten mit der Markierung der von Nalivaev gemalten Orte. Aber auch so regte die an einem Sonntagnachmittag gut besuchte Ausstellung offenbar viele Minsker Bürger an, sich mit der Geschichte ihrer Stadt zu beschäftigen: Im Besucherbuch waren zahlreiche Einträge zu finden, die sich direkt an den Künstler wandten mit herzlichen und bewegenden Dankesworten.

Bemerkenswert ist das hier deutlich sichtbare Interesse an den Spuren jüdischer Geschichte, die oft vernachlässigt wird. Das Nationale Historische Museum dessen Filiale das kleine Parteigründungsmuseum ist, macht sich bei beidem Thema allerdings immer wieder verdient, indem es Ausstellungen jüdischer Künstler, zu denen auch Nalivaev gehört und der selbst eine bewegende Geschichte hat, oder Fotoausstellungen zeigt, die den Blick auf diesen Teil der Geschichte lenken.

Während diese Ausstellung einen Raum in dem kleinen Holzhaus einnimmt, zeigen drei andere ehemalige Zimmer des Hauses die Geschichte von Minsk im 19. Jh. sowie die Hintergründe der Parteigründung von 1898. Dies ist insofern bemerkenswert und unbedingt einen Besuch wert, da diese Informationen weder in der Dauerausstellung des Nationalen Historischen Museums noch im Minsker Stadtmuseum zu finden sind, wo man sie, zumal als Ausländer und Tourist, sicher vermuten würde. Die Ausstellung, die 1995 eingerichtet und 2008 noch einmal modernisiert wurde, ist mit viel Liebe eingerichtet und um alle ideologischen Belehrungen rundum das große Ereignis kommunistischer Geschichtsschreibung bereinigt. Alte Fotos, Anschläge und Zeitungsberichte lassen ein lebendiges Bild der Stadt und ihrer Bevölkerung vor dem Ersten Weltkrieg entstehen. Das rekonstruierte Interieur des Wohnzimmers gibt einen Einblick in die damalige Lebenswelt und Biographien, Dokumente und Fotos informieren über die Ereignisse in dem Gebäude im Jahre 1898 und die weitere Entwicklung der Partei und ihrer Gründer. Dies alles ist, in Minsk durchaus selten, durchgängig in drei Sprachen (russische, belarussisch und englisch) zu haben, so dass auch ausländische Besucher sich hier mit Gewinn aufhalten können.

Deutsch-bulgarisch-belarussischer Jazz

Foto: http://afisha.sb.by/12018/

Manche kulturelle Erlebnisse gehen mir nicht aus dem Kopf, auch wenn sie schon länger zurückliegen. Dazu gehört ein Konzert, das ich am 18.11.2012 in der Philharmonie in Minsk gehört habe. Auf dem Programm stand Jazz, gespielt von drei jungen Musikern aus Belarus und Bulgarien, die alle derzeit in Deutschland (Leipzig und München) leben und arbeiten. Kopf des Trios ist Michail Leontschik, einer der bekanntesten und zugleich ein virtuoser Spieler des hierzulande weit verbreiteten Saiteninstrumentes Zymbal. Zugleich ist er der Sohn des hier ebenfalls bekannten Zymbal-Spielers Alexander Leontschik. Zusammen mit dem Pianisten Konstantin Kostov und dem Percussionist Nevian Lenkov bilden sie das Ensemble „Only Juzzt“ .

Auf dem Programm stehen eigene Kompositionen, meist von Leontschik, bulgarische und belarussischer Volkslieder, aber auch Adaptionen von Jazzstandards und klassischer Musik, darunter Chopin, Brahms (eine tolle Version eines der ungarischen Tänze!) u.a. Insgesamt ein unvergessliches Musikerlebnis, das ich nur jedem empfehlen möchte. Zur Einstimmung empfehle ich ein Video auf youtube.

Wir sind noch in Minsk: Zur Lage des Militärattachéstabes

Entgegen der Meldungen der letzten Woche in belarussischen Medien sind wir noch hier. Dies ist insofern bemerkenswert, als mehrere belarussische Medien gemeldet hatten, dass wir bereits ausgereist seien. Hintergrund ist eine Meldung im SPIEGEL vom 2.12.2012 zur Entscheidung der Bundesregierung, den Militärattachéstab aus Minsk abzuziehen. Ein interkulturelles Missverständnis  könnte zu einer unterschiedlichen Auslegung dieser Nachricht geführt haben: Offenbar kann sich hier niemand vorstellen, dass eine Entscheidung der Regierung nicht augenblicklich auch umgesetzt werden muss. Die Meldung konnte also nur heißen, dass der Attaché schon weg ist. Diese logische Schlussfolgerung griff dann auch das Fernsehen auf. Höhepunkt war die TV-Sendung „Do svidanija, Niels“ [sic!], die am 4.12. von ONT ausgestrahlt wurde. Dieselbe Sendung wurde am Ende der Woche, in der man die Nachricht hätte überprüfen können, noch einmal ausgestrahlt.

Worum geht es? Hierzu zitiere ich aus dem SPIEGEL:

„Die Bundesregierung in Berlin wird den Militärattachéstab an der deutschen Botschaft in Minsk spätestens 2013 schließen. Sie reagiert damit auf die Unterdrückung der Zivilbevölkerung in Weißrussland: Dies schrieb Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey am vergangenen Dienstag in einem Brief an die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner. Demzufolge ging der Entscheidung ein diplomatischer Disput zwischen Deutschland und Weißrussland voraus: Nachdem die Bundesregierung im September keine Verbesserung der Menschenrechtssituation dort feststellen konnte, hatte sie die Zusammenarbeit mit den Militärs in Minsk weiter eingeschränkt. Weißrussland fühlte sich dadurch provoziert und stoppte die bilaterale Militärkooperation mit der Bundeswehr. Als Reaktion darauf wiederum hat nun Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) entschieden, den Militärattachéstab ganz zu schließen. In Weißrussland herrscht seit 1994 der Diktator Alexander Lukaschenko. Dem Regime in dem osteuropäischen Staat werden schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt.“

Die erste Meldung in Belarus dazu erschien Montag früh (3.12.) im Internet auf der Website von Charta97. Für uns überraschend war, wer und wie viele unserer Partner das an sich verbotene Portal offenbar gründlich lesen. Neben den meisten persönlichen Bekannten und Freunden, die einer nach dem anderen anriefen, um sich nach dem aktuellen Stand zu erkundigen, konnte auch die zuständige Abteilung im belarussischen Verteidigungsministerium die Information nur von dort haben, so schnell wie der Anruf am Montag morgen kam. In der Folge griffen weitere unabhängige belarussische Internetmedien (BelaPAN, Interfax, ex-Press.by) die Meldung unter Berufung auf dpa und Deutsche Welle auf.

Eine offizielle Reaktion der belarussischen Seite erfolgte im Laufe des 3. Dezember durch den Sprecher des Außenministeriums, Andrej Sawinych. Diese lautete wie folgt: Die deutsche Seite sei berechtigt, die Struktur und die Richtlinien der Tätigkeit ihrer diplomatischen Vertreter zu bestimmen. Jedoch sei es aus der verlautbarten Formulierung verständlich, dass dies ein erdachter Schritt sei, der im Widerspruch zu den gesamteuropäischen Anstrengungen zur Festigung der Sicherheit stehe. Die belarussische Regierung sei der Meinung, dass diese Entscheidung mit der Zuspitzung des politischen Kampfes zwischen den Parteistrukturen innerhalb Deutschlands zusammenhänge. Deutsche Politiker, indem sie sich von Parteimanövern hinreißen ließen, verlören den gesunden Menschenverstand und fassten absurde Beschlüsse. In diesem Kontext könne man den Verteidigungsminister nur bemitleiden, denn wie bekannt, kenne die Absurdität keine Grenzen (www.mfa.gov.by vom 3.12.2012).

Ich hätte es nicht treffender formulieren können: Es ist absurd. Zu diesem Eindruck (freilich aus anderen Gründen als die belarussische Regierung) kommt man jedenfalls, wenn man sich die Entwicklung anschaut, die der Entscheidung vorausgegangen ist. Beeinflusst wurde diese wohl auch durch die unglückliche sommerliche Berichterstattung über die Kooperation der Bundespolizei mit der Polizei in Belarus. Um weiteren Druck der Medien zu verhindern hat man wohl kurzerhand beschlossen, dass nicht nur die polizeiliche, sondern auch die militärische Zusammenarbeit zu unerwünschten Fragen führen könnte – und stellt sie ein. Bereits zuvor hatte es kaum nachvollziehbare Einschränkungen der Arbeit hier vor Ort gegeben. Schon zu dieser Zeit war dies der einzige Militärattachéstab, der solchen Restriktionen unterliegt. Die jetzt im Spiegel angedeuteten Auseinandersetzungen auf diplomatischer Ebene sind letztlich selbst verursacht, eben indem die Zusammenarbeit immer weiter eingeschränkt wurde. Naturgemäß hat es Reaktionen der Belarussen gegeben. Die Spirale der Aktionen und Reaktionen hat sich letztlich verselbständigt bzw. auf beiden Seiten zu unterschiedlichen Informationsständen geführt, die kaum mehr zu beheben sind, ohne weitere Verstimmungen hervorzurufen. Der Hinweis der deutschern Seite auf die „angespannte Menschenrechtslage“ wird dabei in jeder beliebigen Nachricht über Belarus gebetsmühlenartig herangezogen. In Iran und Syrien freilich bleibt alles beim Alten: Die Militärattachés sind  nach wie vor im Dienst (Damaskus von Beirut). Also auch hier stellen wir wieder mal fest: Die Wege der Diplomatie sind unergründlich. Was all das genau für uns persönlich bedeutet, wird gerade an anderer Stelle beraten: Die offizielle Sprachregelung des Auswärtigen Amtes vom 3.12.2012 lautet: Aufgrund der aktuellen Lage hat die Bundesregierung entschieden, den Militärattachéstab in Minsk abzuziehen. Die organisatorischen Maßnahmen und detaillierte Zeitabläufe werden derzeit abgestimmt.

Derweil war selbst die traditionelle Weihnachtsfeier der Deutschlehrer mit dem Militärattachéstab ein Politikum, die Belarussen mussten kurzfristig absagen.

Wieder einmal hängt also das Damokles-Schwert über uns – wie schon einmal in diesem Jahr fürchten wir, dass unsere Zeit hier in Minsk schneller zu Ende geht, als wir es uns wünschen. Während wir im April und Mai mit einer Ausweisung durch Belarus als Reaktion auf die Sanktionen der EU gerechnet haben, sind wir aktuell ein Objekt deutscher Entscheidungsprozesse. Das Pikante dabei ist, dass wir (= Niels) selber schuld ist, weil er ausgesprochen hat, was alle wissen: Genau genommen ist ein MilAtt-Stab in Belarus nicht unbedingt erforderlich. Nachdem alle bisherigen Berichte in irgendwelchen Schubladen verschwunden sind, ist ausgerechnet dieser auf dem Schreibtisch des IBuK (für Nicht-Militärs: Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt = Verteidigungsminister) gelandet, der sich wohl dachte: Endlich sagt mal einer die Wahrheit und zack – Schluss mit dem schönen Diplomatenleben. Ich hätte nie gedacht, dass das Diplomatenleben in einem Land, das eigentlich keiner kennt und für das sich auch eigentlich keiner interessiert, so nervenaufreibend sein kann.

Zeitzeugen der verbrannten Dörfer in Belarus

Foto: http://rus.delfi.lv/news/daily/politics/fond-vystavka-ugnannoe-detstvo-v-latvii-otkladyvaetsya-iz-za-davleniya-vlastej.d?id=42236388

Am 5.11.2012 wurden unter dem Titel „Verlorene Kindheit. Minderjährige Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Nordwesten der UdSSR“ in der Geschichtswerkstatt eine Fotoausstellung und ein Dokumentarfilm gezeigt, die sich dem Schicksal der Opfergruppe der „verbrannten Dörfer“ widmeten. Sie ist von der russischen Einrichtung „Historisches Gedächtnis“ zusammen mit dem belarussischen Fond Mira erarbeitet worden. Bereits im Januar war sie in Moskau im Museum für Zeitgenössische Geschichte gezeigt worden. Insbesondere in Lettland, aber auch Belarus hatte die Ausstellung für Diskussionen gesorgt.

Die Ausstellung umfasst ca. 30 Fotos aus Archiven aus Belarus, Lettland, Russland und privaten Sammlungen.

Sie zeigen den Alltag der Bevölkerung unter den nationalsozialistischen Terror-Aktionen, insbesondere von Kindern im KZ Salaspils. Der Film zeigt Interviews mit Überlebenden, die durch Filmaufnahmen und historische Fotos in den Kontext eingeordnet werden. Dabei handelt es sich um die Operation Winterzauber.

Die Fotos sind mit Quellenangaben versehen, im Film entsteht zuweilen der Eindruck, die Datierung von Ereignissen oder die Zuordnung von Einheiten und Orten gerate ein wenig durcheinander. Der Leiter von „Historisches Gedächtnis“, Alexander Djukov, hat zum Thema Kollaboration eine Publikation von Dokumenten vorgelegt: „Destroy as much as possible.“ Latvian collaborationist formations on the territory of Belarus, 1942 – 1944 (russisch 2009, englisch 2010), das auch einen Aufsatz des belarussischen Historikers Alexej Litvin enthält. Am Folgetag fand eine Konferenz in der Akademie der Wissenschaften statt mit Vertretern aus Deutschland, Russland, der Schweiz. Hier war u.a. ein Beitrag zu dem bisher völlig unerforschten Thema der Blutentnahme bei Kindern für deutsche Soldaten zu hören.

Archivmaterial zu dem Thema befindet sich um USHMM.

Galina Lewina und das „International Children Plein Air Art Forum ‚Jewish Shtetle Revival’“ in Belarus

Foto: http://www.europeanjewishfund.org/index.php?/projects/projects_full/the_4th_ejf_art_forum_jewish_shtetl_revival_belarus/

In der vergangenen Woche war ich erstmals Gast beim International Art Forum, das in diesem Jahr zum 6. Mal in Belarus stattfand. Dank der Unterstützung des European Jewish Fund  kommen dabei jährlich 15-20 Jugendliche aus Belarus und weiteren Ländern (in diesem Jahr Bulgarien, Belarus, Serbien, Litauen, Moldova, Israel) zusammen, um eine Woche gemeinsam auf den Spuren jüdischer Geschichte in Belarus zu wandeln. Ihre Eindrücke verarbeiten die jungen Leute im Alter von 16 bis 23 künstlerisch. Dabei erhalten sie Workshops von Künstlern zu Malerei, Graphik, Töpfern und anderen Techniken. Als Schüler künstlerischer Schulen und Hochschulen in ihren Heimatländern ist dies zum einen eine Fortbildung.

Darüber hinaus besuchen sie aber auch historische Orte und verfallene Synagogen, sprechen mit Überlebenden des Holocausts und verarbeiten all das in ihren eigenen Arbeiten, aus denen am Ende der Woche eine Ausstellung entsteht.

Initiatorin und fachkundige Begleiterin der Jugendlichen ist Galina Lewina, selbst mehrfach ausgezeichnete Architektin und eine der drei Vertreterinnen von Belarus im European Jewish Parliament. Außerdem ist sie die Tochter des bekannten und ebenfalls mehrfach ausgezeichneten Architekten Leonid Lewin, der das Programm des Art Forums aktiv begleitet.

Das Ziel des Projektes beschreibt Galina Lewina in der Publikation der Projektergebnisse und Kunstwerke aus dem Jahr 2007 und 2008: „The plein air was a step of young members of Jewish communities to Jewish history through the art.” Sie selber hat offenbar einen starken Eindruck bei den jungen Leuten hinterlassen. Eine polnische Teilnehmerin aus dem Jahr 2007/2008 schreibt über sie: „… a kind of super-woman, who between an active career as an architect, a published poet and writer, also a community organizer, found the time and energy to organize this art camp…“ Diesen Eindruck kann ich aus meiner persönlichen Bekanntschaft mit Galina nur bestätigen!

Militärtourismus in Belarus/Weißrussland

Stalin-Büste im Gelände des Erlebnisparks "Stalin-Linie".

Die Ankündigung (BelaPan 25.9.2012), Touristen mit militärhistorischem Interesse durch die historischen Orte in Belarus anzuziehen, hat mich überrascht. Mir schien es, als wäre das schon längst der Fall. Zum einen gibt es aufgrund der zentralen Lage in Europa tatsächlich viele Orte und Überreste, die über ganz unterschiedlichen kriegerischen Auseinandersetzungen zu verschiedenen Zeiten berichten. Zum anderen ist der Umgang mit diesem Aspekt der Geschichte unbedarft und frei von jeder Scheu, die Ereignisse und Schauplätze zu Erlebnisparks zu machen.

Dies soll nun offenbar systematisiert werden. Im Vordergrund sollen der Krieg gegen Napoleon 1812 und der Erste sowie der Zweite Weltkrieg stehen. Diese Auswahl entspricht dem offiziellen Geschichtsbild, das eine touristische Auswertung aller anderen Kriege auf heutigem belarussischem Territorium nicht vorsieht.

Schon länger ist dieses Segment ein Teil des offiziellen Reiseangebots von Belarus. Dabei werden allerdings auch andere Kriege wie der Sieg der Belarussen (wer genau gehörte in diesen Zeiten dazu?) über die Tataren und Mongolen nahe Minsk im Jahre 1249 oder der Nordische Krieg Anfang des 18. Jh. berücksichtigt. Das Sport- und Tourismusministerium hat je eine Broschüre zum „War Tourism“ und sogar eine zum „Dark Tourism“ herausgegeben. Auf der Website ist dann aber doch lieber von „Battlefield and Historical Tours“ die Rede.

Der "Ruhmes-Hügel" bei Minsk zur Erinnerung an die Befreiung am 3.7.1944.

Bemerkenswert ist, dass in den Broschüre auch auf die Orte jüdischer Erinnerung, wie die Jama in Minsk, oder den Vernichtungskrieg, wie Chatyn, hingewiesen werden – Orte, die nun wirklich nicht auf der Hauptroute des Tourismus liegen. Die offenbar selbstverständliche Verbindung dieser historischen und Gedenkorte nimmt sich neben militärischen Erlebnisparks wie der Stalin-Linie, Reenactment-Veranstaltungen oder der jährlichen Parade im Zentrum von Minsk freilich befremdlich aus.

Neu an den aktuellen Überlegungen ist die Verbindung der Reisen auf militärischen Spuren mit kulinarischen Angeboten der Region, einschließlich Besuchen bei Lebensmittelherstellern, Weinverarbeitungsbetrieben oder Brennereien. Zur Erarbeitung entsprechender Angebote will die Regierung Touristenunternehmen unterstützen. Wer hätte das gedacht?!

Konferenz zu Belarus/Weißrussland-Studien in Kaunas Ende September

In der Zeit vom 28.9. bis 30.9. findet in Kaunas der zweite internationale Kongress zu Belarus statt. Initiatoren sind die Vytautas Magnus Universität (Litauen) and das Institut für „Politische Sphäre“ Institute (Belarus). Ziel ist die Vernetzung von Forschern und Wissenschaftlern, die sich mit Belarus/Weißrussland beschäftigen. Mit der jährlich geplanten Veranstaltung soll eine Plattform zum Austausch von Ideen und Ergebnissen geschaffen werden, so der Direktor des Instituts, Andrej Kazakevich.

Während im letzten Jahr die Sozialwissenschaften, politsiche Geschichte und Soziologie im Vordergrund standen, sollen in diesem Jahr Kunst, Literatur und Theologie im Vordergrund stehen. Erwartet werden 200 Wissenschaftler aus 19 Ländern.

Das Programm sowie alle Formalitäten sind der Website des Kongresses zu entnehmen.

Dudutki

Nun habe ich es endlich auch mal in eines der wenigen Privatmuseen des Landes geschafft, nämlich in das Freilicht- und Traditionsmuseum Dudutki, das auch über eine deutsche Website verfügt. Ob man hier freilich von einem Museum sprechen kann, kann man sicher diskutieren – Exponate gibt es jedenfalls nur sehr wenige, die man zudem oft gar nicht als solche erkennt, weil sie nicht bezeichnet, geschweige denn erklärt sind.

Aber es muss ja auch nicht immer Bildung sein, Museen sind ja schließlich auch zur Unterhaltung da, und davon gibt es einige in Dudutki. Den verschiedenen Gewerken sind jeweils eine oder auch mehrere Hütten gewidmet, in denen man den Meistern bei der Arbeit zusehen und eine Souvenirwahl aus einem wahrlich großen Angebot wählen kann. Am Eingang findet sich jeweils ein Text, der das Handwerk, seine Werkzeuge und Techniken erläutert – übrigens alles auf russisch, was mich erstaunt hat, geht es doch um spezifisch belarussische Traditionen und Rituale. Die Website ist dagegen auf belarussisch gehalten sowie, mit Einschränkungen, auf englisch.

Originell ist die Idee der traditionellen Käserei und Molkerei, wo jeder Besucher mit seiner Eintrittskarte eine Kostprobe selbstgemachten Käses und Brotes bekommt. Wer mehr Hunger hat, kann im Museumscafé weitere Speisen bestellen, Speck, Gurken und Wodka probieren oder eine Picknickhütte belegen und seine mitgebrachten Speisen verzehren.

Für Kinder wie auch für Erwachsene gibt es eine Runde auf dem Pferderücken oder eine Fahrt im Bollerwagen oder einer hochherrschaftlichen Kutsche. Dieses Erlebnis wird freilich im Eindruck getrübt durch die Kombination der hohen, weißen Kalesche mit einem kleinen braunen Pony. Mit diesem Gespann kann man die größere Wegstrecke zur nahegelegenen Kirche nebst Freigehege für Ziegen, Schafe, Schweine und Kälber zurücklegen oder bis zur Windmühle fahren. Auch hier gibt es dann noch einmal die Möglichkeit, eine traditionelle belarussische Hütte mitsamt Einrichtung, Ausstattung und in Trachten gekleideter Bewohner zu besichtigen.

Alles in allem lohnt sich die Fahrt in das etwa 65km von Minsk gelegene Dudutki für die ganze Familie. Wie beliebt dieser Ort ist, zeigte sich an dem am Wochenende voll besetzten Parkplatz, auf dem u.a. viele Busse und Autos aus Russland zu sehen waren.

Konzerte mit belarussischer Musik in Berlin und Dresden

Ich zitiere hier eine Mail von Ingo Petz an den Verteiler des Minsk-Forums:

Liebe Mitglieder und Freunde der dbg, liebe Belarus-Interessierte,
hiermit möchten wir Sie zu zwei wunderbaren Konzert-Abenden am 1. und 3. Oktober 2012 in Berlin und Dresden einladen. Uns ist es gelungen, erstmals das belarussische Frauengesangsensemble MIZHRECHCHA nach Deutschland einzuladen. Das Ensemble aus der Region Palessje in Belarus präsentiert in dem Programm „Belaruskaja Duscha: Die Belarussische Seele“ authentische Volkslieder, Rituale und Traditionen, die sogar auf der UNESCO-Liste für das geistige Weltkulturerbe stehen.
Wir bitten Sie, dieses schöne Ereignis mit Ihrem Besuch zu unterstützen.
Anbei finden Sie weitere Infos zu dem Ensemble und zu den Veranstaltungsorten: Konzert_1.+3.10.2012
Mit besten Grüßen,
Ingo Petz

dbg-Vorstand
Minsk Forum Office
deutsch-belarussische gesellschaft (dbg)
Schillerstraße 59
D-10627 Berlin
Email minskforum@dbg-online.org

Museumsforum in Grodno vom 12.-14. Oktober 2012

Auf Initiative des Kulturministeriums wird im Oktober erstmals eine Museumsmesse in Belarus stattfinden, wie die Stellvertretende Vorsitzende der Abteilung für Kultur-Institutionen und Volkskunst des Ministeriums, Svetlana Gavrilova, mitteilte.

Ziel des Forums, so heißt es offiziell, das im Rahmen des Kulturförderprogramms 2011-2015 initiiert wird und alle zwei Jahre stattfinden soll, ist die Stärkung der Museen, ihrer Aktivitäten und Mitarbeiter. Darüber hinaus soll das allgemeine Interesse für die vielfältigen Angebote im Museumsbereich geweckt und gefördert werden. Das Programm wird Ausstellungen, einen Wettbewerb, Seminare und Konferenzen umfassen. Offiziell rechnet man mit großer internationaler Beteiligung.

Ob diese ehrgeizigen Ziele erreicht werden, wird sich zeigen. Museumsmitarbeiter und Kritiker äußern sich eher skeptisch mit Blick auf die Organisation und das Programm. Die belarussische Sektion von ICOM wurde bisher gar nicht offiziell informiert. Zwar ist nachvollziehbar, dass durch die Wahl des Veranstaltungsortes Grodno die Provinz gestärkt werden soll. Auf der anderen Seite ist jedoch für viele Museen eine Reise nach Minsk attraktiver und auch ergiebiger. Freilich werden sie keine Wahl haben, da alle Museen verpflichtet sind, sich auf dem Forum zu präsentieren. Zudem bedauern viele, dass es sich im Format um eine Kopie der Moskauer Museumsmesse InterMuzej handelt und bisher kein eigenes, belarussisches Profil erkennbar ist.

Trotz dieser Kritikpunkte ist die Initiative des Kulturministeriums, die Museumslandschaft zu stärken, natürlich zu begrüßen. Ob und welchen Nutzen das Forum letztlich für die Museen hat, bleibt abzuwarten.

Globalisierung II

Meist können wir mit unserem derzeitigen Wohnort in Minsk bzw. Belarus bei Mitreisenden, Freunden oder Bekannten wohliges Erstaunen hervorrufen. Nicht selten werden Fragen nach dem Grad der Zivilisation und den Extremen des Klimas gestellt. Nicht so bei einem Ausflug zu Freunden in das benachbarte Polen, wo wir 50 km von der russischen Grenze an den Masurischen Seen in ein wahrlich globales Dorf geraten sind.

Die Gastgeber selbst hatten gerade einige Jahre im, freilich wenig beliebten, Nachbarland verbracht, wo wir sie auch kennengelernt hatten. Weitere Sommergäste stammten aus Warschau, darunter gebürtige Polen, die Belarus sowieso für eine eigentlich polnische Provinz halten – wie übrigens auch den heute russischen Teil Ostpreußens, große Teile Litauens, einige Gegenden der Ukraine usw. Andere kamen zwar aus Warschau angereist, wo sie sogar einen festen Wohnsitz haben, aber aus aller Herrn Länder zugereist sind: Jean-Louis ist von tadelloser französischer Geburt wie Erscheinung, spricht glänzendes Englisch mit wunderbarem französischem Akzent und vertritt ein französisches Unternehmen in Polen. Seine Zukünftige (die Hochzeit auf den französischen Gütern steht unmittelbar bevor), Tanja, stammt aus der östlichen Ukraine, wo sie aber schon 10 Jahre nicht mehr war (weil ihre Eltern seit langem in Odessa leben), weil sie zunächst in Kiew, später in Moskau gearbeitet hat, wo sie sich aber angesichts des rüden Gebarens der russischen Polizei als Bürgerin eines freien und demokratischen Landes nicht willkommen fühlte und in das europäische Warschau übersiedelte. All das, versteht, sich in makellosem Englisch, wahlweise russisch oder polnisch.

Mit von der Partie war ihre Schwester Anja, die tags zuvor für eine Stippvisite zu ihrer Schwester nach Warschau gekommen war, und zwar aus Madrid, wo sie vorübergehend wohnt und natürlich spanisch gelernt hat, bevor sie mit ihrem spanischen Freund in die USA übersiedelt, wo nun mal die Kunden ihres gemeinsamen Internetbusinessunternehmens leben.

Jean-Louis, Tanja und Anja sind allesamt Freunde des Sohnes des Hausherren, der ebenfalls mit seiner Frau aus Warschau anwesend war und jüngste Reiseberichte von Ausflügen nach Nepal und Mexiko beisteuerte. Die Eltern trugen es mit Fassung, freuten sich auf ein ruhiges Wochenende im Ferienhaus und wollten von Minsk sowieso schon nichts mehr wissen. Da waren sie nicht die einzigen.

Globalisierung I

Bisher dachte ich immer, mit Belarus eine einigermaßen interessante Destination beim Reisen zu haben. Wie normal und europäisch Weißrussland allerdings ist, erfuhr ich neulich bei meiner Ankunft am Frankfurter Flughafen. Eine junge Blondine aus den USA verwickelte, zunächst auf Englisch, zahlreiche Fahrgäste des Flughafentranferbusses in ein Gespräch, in dem die Globalisierung zum Greifen nahe war. Zunächst stellte sie fest, dass sie und ein weiterer Mitreisender sich bereits in London beim Umsteigen getroffen hatten. Wie sich herausstellte, war dieser im heimatlichen Tschad auf Reisen gegangen, von dem die Amerikanerin indessen bisher nichts gehört hatte. Sie selbst war, wie sie freimütig berichtete, heute aus Chicago gekommen, um ihren deutschen Freund, der schüchtern neben ihr Platz genommen hatte, in Frankfurt zu besuchen. Dieses war für den Mann aus dem Tschad nur eine weitere Zwischenstation auf dem Weg nach Magdeburg zum Klassentreffen. Dort war er, wie er nun in nahezu akzentfreiem Deutsch den Umstehenden berichtete, vor 25 Jahren zum Ingenieursstudium gewesen, denn der Tschad habe damals wie heute dringend Fachkräfte gebraucht. Das bestätigte ein Ehepaar mittleren Alters mit Backpacker-Gepäck in reinstem Hochdeutsch, erkundigte sich aber höflich, wo denn Magdeburg gelegen sei. Dies wiederum erstaunte den Zentralafrikaner, der sogleich erfuhr, dass die beiden aus Südafrika stammten und das erste Mal in Deutschland waren. Währenddessen führte die junge Frau aus Chicago ein unangemessen ernstes Gespräch (übrigens in leidlichem deutsch) mit ihrem Freund über die Nachteile einer Fernbeziehung über geschätzte 10.000 km. Aber auch in einem so ernsten Fall spielt offenbar das Wetter eine erhebliche Rolle, weshalb sie sich bei einer bisher unbeteiligten jungen Frau erkundigte, ob die Sommer hier in Deutschland immer so schlecht seien. Diese antwortete, dass sie zwar eine gebürtige Mannheimerin sei, aber seit geraumer Zeit in Dubai lebe, wo die Sommer nebenbei bemerkt immer heiß seien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kam mir Belarus so unspektakulär zentraleuropäisch vor wie sonst nur Magdeburg oder Mannheim.

Jahrbuch Belarus/Weißrussland 2011

Foto: http://www.belinstitute.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=1304%3A-2011-&catid=15%3Apresentations&Itemid=29&lang=en

Seit Kurzem steht das 8. Jahrbuch Belarus, zusammengestellt und herausgegeben von mehreren unabhängigen Autoren und Instituten und finanziert durch den German Marshall Fund, als Download im Internet zur Verfügung. Nähere Informationen zu Autoren, Herausgebern und Inhalten unter: http://www.belinstitute.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=1304%3A-2011-&catid=15%3Apresentations&Itemid=29&lang=en

Eine eigene Rubrik zur Kultur gibt es leider nicht. Allein unter der Überschrift „Gesellschaft“ findet sich neben Beiträgen zum Internet, dem Bildungssystem, dem Dritten Sektor, den Kirchen sowie den Medien der Artikel von Maksim Zhbankov „Cultural Transformation: New modes of stagnation“.

Download in English <http://www.belinstitute.eu/images/doc-pdf/ej_2011_engl.pdf>

Download in russisch: <http://www.belinstitute.eu/images/doc-pdf/ej_2011_rus.pdf>

Das staatliche belarussische Pendant des Statistischen Jahrbuches findet sich unter. http://belstat.gov.by/homep/en/publications/year/2011/about.php

Repin in Weißrussland

Foto: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/b8/Belarus-Zdrawneva-Manor_of_Ilya_Repin-1.jpg/800px-Belarus-Zdrawneva-Manor_of_Ilya_Repin-1.jpg

Zwischen 1892 und 1902 hat der russische Maler Ilja Repin die Sommermonate in seinem Landhaus in Zdravnevo, unweit von Vitebsk, im heutigen Belarus verbracht. Sein Vater ist in einem Dorf in der Nähe beerdigt. Heute befindet sich in dem Landhaus ein Museum, eine Filiale des Regionalmuseums Vitebsk.

Die Räume sind mit zeitgenössischen Möbeln und Einrichtungsgegenständen hergerichtet. Außerdem gibt es Dokumente, Fotos, Briefe und persönliche Gegenstände des Künstlers und seiner Familie aus dieser Zeit. Originale Werke von Repin gibt es hier nicht zu sehen, allein einige Reproduktionen zieren die Wände. Um originale Werke des führenden „Wandermalers“ zu sehen, muss man aber nicht bis Moskau reisen, sondern kann sich einige davon im Kunstmuseum Vitebsk ansehen. Im Werk Repins gibt es immer wieder Bezüge zu Weißrussland, darunter sein berühmtes Gemälde „Der Belarusse“ von 1892 (Russisches Museum St. Petersburg).

Übrigens gibt es in Belarus auch eine kleine Stadt mit dem Namen „Repin“, im Gebiet Gomel’, die mit dem Sommersitz des Künstlers nichts zu tun hat.

Museumswissenschaftliche Fachliteratur

Eine neue Dissertation zur Museumslandschaft in Belarus war Anlass für mich, mal einen (nicht vollständigen und nicht erschöpfenden) Blick auf die Fachliteratur zu Fragen rund ums Museum zu werfen. Die erwähnte Dissertation von Evgenija Krasnova (russisch) gehört zweifellos dazu, so wie auch die Arbeiten von Tamara A. Džumantaeva, die bis dahin die einzige Doktorarbeit zu den belarussischen Museen (zur „Entwicklung der Kulturmuseen in Grodno“, 2009, belarussisch) vorgelegt hatte.

Hier deutet sich bereits ein Problem für ausländische Wissenschaftler an: Wer einen genauen Blick auf die belarussische Museumsszene werfen will, der muss auch belarussisch zumindest lesen können. Z.B.

Alexander A. Gužalovskij, Professor für Museumswissenschaften an der BGU, schreibt meist auf belarussisch. Von ihm stammen zahlreiche Veröffentlichungen, darunter die dreibändige Übersicht über die Geschichte der belarussischen Museen von 1918 bis 1991 (letzter Band: Minsk 2004) sowie die umfangreiche Einführung in dem Nachschlagewerk „Muzei Belarusi“, Minsk 2008.

Ebenfalls zur Lage der belarussischen Museen publiziert Alla Staskevič vom Institut für belarussische Kultur, und zugleich Vorsitzende von ICOM Belarus. Vgl. Музеи Литвы и Беларуси: пути и перспективы развития в XXI веке: [материалы конференции, Минск ― Вильнюс ― Тракай, 2006―2007 / составители: Е. Матевосян, В. Повилюнас, А. Сташкевич]. – Минск [и др.], 2007. – 111 c. Das Institut für belarussische Kultur sammelt übrigens statistisches Material über die Museen des Landes, was allerdings nur unregelmäßig veröffentlicht wird.

An der im Exil befindlichen Europäischen Humanistischen Universität in Vilnius beschäftigt sich Alexander Kolbaska mit dem Thema, der auch viel auf Englisch publiziert, über Belarus hinaus in andere Länder schaut und dabei Fragen des Museumsmanagements berührt.

Eine eigene Fachzeitschrift gibt es in Belarus nicht. Unregelmäßig erscheinen lediglich die Музейныя сшыткi. Навуковая апрацоўка музейных прадметаў. Пiсьмовыя i фотадакументальныя помнiкi: Навук.-метад.зб. – Мн.: БелIПК sowie eine Sammlung von Aufsätzen zu Museumsfragen vom Staatlichen Museum für Geschichte. Für allgemeine Fragen der Museumswissenschaften und theoretische Aspekte sind die entsprechenden russischen Zeitschriften zu nennen, z.B. Voprosy Museologii, Mir Muzeja u.a. Die Berichte zur Entwicklung der Museumslandschaft, ihrer Institutionen und Personen, beziehen sich hier natürlich auf Russland – die Lücke für Belarus bleibt bisher offen. Einzelne Aufsätze zum Museumswesen dagegen finden sich in folgenden Zeitschriften: Vestnik Instituta sovremennych znanii, Vestnik Belarusskogo gosudarstvennogo universiteta kul’tury i iskusstva (auf belarussisch) sowie Čelovek. Gramadstva, Svet (Informationsministerium).

2003 ist ein Leitfaden zur Behandlung von Sammlungsgut erschienen (Naučnaja obrabotka muzejnych predmetov, Mogiljov 2003) sowie 2004 ein Wegweiser zur Entwicklung musealer Konzeptionen (Канцэпцыя развiцца музейнай справы, Minsk 2004, hg. vom Kulturministerium). 2005 hat das Nationale Kunstmuseum einen Sammelband herausgegeben (Muzej kak kreativnoe prostranstvo kul’tury, Minsk 2005) und 2006 veröffentlichte das Erziehungsministerium zusammen mit der Vitebsker Universität ein Handbuch für Studenten (Музей. Вучэбна-метадычны комплекс, Vitebsk 2006).

Die häufigste Publikationsform ist die Veröffentlichung von Konferenzbeiträgen, wie z.B. 2009 „90 год Вiцебскаму абласному краязнаŷчому музею (2009), darin ein Aufsatz über die Entwicklung des belarussischen Ausstellungswesens. Es lohnt sicher daher, die rege Konferenztätigkeit der Museen zu verfolgen. 2010 schließlich ist die Veröffentlichung Культурная спадчына, менеджмент, маркетинг (Minsk 2010)  erschinen.

Der Zugang zu internationaler Literatur und vor allem Zeitschriften ist sehr eingeschränkt. Sei es, weil die Bibliotheken kein Geld für Ankäufe haben, sei es, weil es doch einen Filter gibt, so dass es so manche Veröffentlichung nicht in die belarussischen Kataloge schafft. Fachliteratur zu allgemeinen Fragen des Kulturmanagements ist auch in Russland erst in den letzten Jahren erschienen, seitdem aber eine große Anzahl von Büchern und Aufsätzen. Hier lohnt sich ein Blick in die Publikationsliste des Studiengangs an der Petersburger Universität (G.L. Tul’činskij und E.L. Šekova). Aber nicht mal diese Literatur oder auch die verschiedenen Angebote von ICOM Russland sind hierzulande immer bekannt, geschweige denn verbreitet.

 

Unterwegs im Osten: Vitebsk

Die an der russischen Grenze gelegene, drittgrößte Stadt des Landes wird, wenn überhaupt, bei uns allenfalls mit Marc Chagall in Verbindung gebracht: Eines seiner berühmtesten Gemälde, „Über Vitebsk“, erinnert an seine Jahre in der Stadt. Lange war er allerdings in seiner Heimat gar nicht als „weißrussischer“ Künstler im Bewusstsein, vielmehr führten ihn die sowjetischen Lexika als französischen Künstler. Dabei wurde er in der Nähe von Vitebsk geboren (1887) und verbrachte seine Jugend hier. Im Sommer 1914 kehrte er noch einmal zurück. Aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges konnte er nicht mehr nach Paris zurückkehren und verbrachte weitere acht Jahre in Vitebsk.

Dabei hinterließ er weitere Spuren, die bis vor wenigen Jahren für den Unkundigen kaum auszumachen waren. Erst allmählich entdeckt die Stadt ihren verlorenen Sohn wieder. Ohne Zweifel ist Chagall für den internationalen Tourismus, der bis heute kaum stattfindet, der wichtigste Grund, die Stadt zu besuchen. Für den belarussischen und regionalen Tourismus ist es darüber hinaus das jährlich stattfindende Musikfestival „Sljavanskij Bazar“.

Für einen Besuch der Stadt spricht weiterhin die offene, angenehme Atmosphäre, die der Fußgängerzone im Zentrum zu verdanken ist. Gerade bei sommerlichen Temperaturen sind die zahlreichen Cafés gut besetzt, man hört Straßenmusik und Jugendliche verbringen ihren Abend auf den Bänken und in den kleinen Parks.

Zu Beginn der Fußgängerzone steht das ehemalige Rathaus, das heute das Regionalmuseum beherbergt. Wer keine Lust auf die in der Tat ein wenig verstaubte Ausstellung hat, dem sei der Aufstieg auf den Turm zu empfehlen, von dem man einen wunderbaren Blick über die Stadt und Umgebung hat.

Am anderen Ende der Fußgängerzone stößt man auf das Marc-Chagall-Art-Center. Es steht in einem kleinen Park, in dessen Zentrum ein Obelisk an den Sieg über Napoleon erinnert. Dieser hatte sich einige Zeit in dem ebenfalls am Platz befindlichen Gouverneursgebäude aufgehalten, in dem heute der KGB residiert. Bevor sich der französische Kaiser entschied, doch gen Moskau zu ziehen, scheint es ihm Vitebsk angetan zu haben: Er plante einen längern Aufenthalt und bestellte sogar die Pariser Oper zur Unterhaltung in die Stadt.

Das Regionalmuseum in Vitebsk

An zentraler Stelle in der Altstadt, im früheren Rathaus, befindet sich heute das Regionalmuseum (Витебский областной краеведческий музей). Dort ist es sich bereits seit 1924 untergebracht, nachdem seine Sammlungen zuvor seit der Gründung 1868 an verschiedenen Orten geworden waren. Die Bestände selbst gehen zurück auf private Sammlungen, u.a. von A. Brodovskij. Diese wurden in den 20er Jahren durch die sowjetischen Behörden enteignet und mit den Beständen aus dem Kirchlichen Archäologiemuseum, dem Museum der Archivkommission und dem Historischen Museum zusammengefasst.

Heute hat das Museum mehrere Filialen, darunter ein Museum der Privatsammlungen, ein Literatur– und ein Kunstmuseum. Auch das Wohnhaus Ilja Repins in der Nähe von Vitebsk gehört zum Regionalmuseum. Schließlich gehört auch eine Dokumentationsausstellung in einem Keller dazu, in dem sich zwischen 1941 und 1944 ein Gefängnis des nationalsozialistische SD befand, über das sich allerdings auf der Website des Museums keine Information findet.

Die auffallend moderne Website steht in einem Kontrast zu der doch ein wenig verstaubten Ausstellung. Die Dauerausstellung zeigt die Geschichte des alten Vitebsk mit teilweise beeindruckenden Grabungsfunden, die jedoch wenig eindrücklich präsentiert werden. Der historische Teil umfasst weiterhin Waffen, einen Raum zu Napoleon in Vitebsk und den „Großen Vaterländischen Krieg“. Die eindrucksvolle ethnographische Abteilung zeigt Stoffe und Trachten in ihrem Herstellungsprozess, allerdings ohne dabei auf die regionalen Besonderheiten im Unterscheid zu Belarus im Allgemeinen einzugehen. Wie immer, leider muss man es auch hier wieder beklagen, gibt es so gut wie keine Texte oder andere Vermittlungsangebote, die es dem Individualbesucher erlauben, sich einen Überblick zu verschaffen. Führungen sind nur in russisch und belarussisch zu haben und dauern sehr, sehr lange ….

Unerwartet groß ist die Abteilung für Naturkunde, die, vor einigen Jahren neu hergerichtet, herrliche Dioramen mit Flora und Fauna präsentiert. Dieser Fundus erklärt dann auch Sonderausstellungen, die z.B. umfangreiche Schmetterlingssammlungen zeigt.

Interessant ist, dass große Teile der Sammlungen vor dem Einmarsch der Deutschen im Zweiten Weltkrieg nach Russland gerettet werden konnten und von dort offenbar auch zurückgekehrt sind. Dass seitdem trotzdem einiges fehlt, und zwar nicht allein aufgrund der Kriegshandlungen, lässt die Museumsmitarbeiterin nur vorsichtig durchblicken. Immerhin haben sich die alten Inventarbücher erhalten, so dass man die Sammlungsgeschichte besser als an den meisten Orten nachvollziehen kann.

Aktuelle Literatur zum Museum: 90 год Віцебскаму абласному краязнаўчаму музею: матэрыялы навук канф., Віцебск, 30-31 кастр. 2008 г. / рэдкал.: Г.У. Савіцкі [і інш.]. – Мінск: Медысонт, 2009.

Chagall in Vitebsk

Das Chagall-Art-Center.

Sowjetische Lexika führten Marc Chagall als französischen Künstler, so dass er nach 1991 für seine belarussische Heimat erst wieder entdeckt werden musste. Ein erster Schritt war die Gründung des Chagall-Kunst-Zentrums in Vitebsk, in dem heute in wechselnden Ausstellungen graphische Arbeiten des Künstlers ausgestellt werden. 1997 wurde das Wohnhaus, in dem Chagall seine Jugend verbrachte, als Museum hergerichtet und verzeichnet seitdem eine wachsende Besucherzahl.

Außerdem kann man in der Stadt noch das Gebäude der Kunstschule besichtigen, das Chagall als Kommissar für die „Schönen Künste“ 1919 gegründet hat. Hier ist ein Zentrum für zeitgenössische Kunst geplant, von dem bisher aber nur eine Baustelle zu sehen ist. Darüber hinaus steht noch ein Gebäude, in dem Chagall vermutlich in die jüdische Sonntagschule gegangen ist.

Dass Chagall noch immer nicht ganz im belarussischen Bewusstsein angekommen ist, zeigt z.B. die Tatsache, dass bisher keines der Gebäude mit einer Gedenktafel oder einem anderen Hinweis versehen. Auch gibt es kein Tourismuskonzept, keine Hinweise in der Stadt, geschweige denn Merchandising-Artikel.

Glaubt man der umtriebigen Direktorin, Ludmilla Chmelnickaja, der beiden Chagall-Museen, so ist all das für die Zukunft geplant. Bis jetzt aber muss sie die Sammlungsbetreuung, Führungen und Veranstaltungen mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern bestreiten.

Das ehemalige Wohnhaus von Marc Chagall.

Seit einigen Jahren veranstaltet das Kunstzentrum die jährlichen „Chagall-Lesungen“ und gibt seit 2000 ein „Bulletin“ heraus. Es informiert über Neuigkeiten zum Museum, Veranstaltungen, Ausstellungen, enthält wissenschaftliche Beiträge, Texte von Chagall sowie die Publikation der jährlichen Konferenzbeiträge. Nach der anfänglichen zweisprachigen Veröffentlichung in russisch und belarussisch, erscheinen die Hefte nunmehr nur auf russisch – zu wenig Feedback zu der belarussischen Ausgabe, wie mir die Direktorin sagte.

Erwähnenswert ist noch die umfangreiche Bibliothek zu Chagall, mit über 5.000 Bänden, die mittlerweile Forscher aus aller Welt anlockt. Zur Sammlung des Museums gehören ca. 300 Arbeiten des Künstlers, darunter eine vollständige Sammlung der Illustrationen zu Gogols „Toten Seelen“, die es sonst nur in Moskau und den USA gibt.

Gedenkstätte für die zerstörten Dörfer in Dalva

Unweit von Chatyn, der zentralen Gedenkstätte für die im Zweiten Weltkrieg zerstörten und verbrannten Dörfer in Belarus, befindet sich ein weiterer, kleinerer Gedenkort für die Dörfer. In dem ehemaligen, am 19.6.1944 zerstörten Dalva, gibt es ein Denkmal und ein kleines Museum.

Wie in Chatyn, zu dessen Verwaltung Dalva auch gehört, wurden auch hier die 44 Bewohner in eine Scheune gesperrt, die daraufhin abgebrannt wurde. Einer der Überlebenden initiierte die Gedenkstätte, die 1973 eröffnet wurde. Die Gestaltung der Gedenkstätte stammt von dem Bildhauer Vladimir Terebun. Insbesondere durch die angedeuteten Umrisse der ehemaligen Häuser erinnert die Konzeption stark an Chatyn, man könnte fast sagen, es handelt sich um ein Plagiat.

Das kleine Museum umfasst einen Raum und ist eher ein Gedenkraum, als eine Ausstellung. Auch hier gibt es keinerlei erklärenden Text, sondern nur eine Aneinanderreihung von Dokumenten, Fotos und Erinnerungsstücken, die im Einzelnen nicht erklärt werden. 

Musical Jesus Christ Superstar in Belarus/Weißrussland verboten

Foto: http://en.ria.ru/world/20120301/171669636.html

Die Nachricht ist eigentlich schon veraltet, aber angesichts der anhaltenden Nachrichten zum Einfluss der Orthodoxen Kirche auf Kunst und Kultur in Russland, bleibt ein gewisser Nachgeschmack. Im Februar meldete BelPan (13.2.2012), dass das Musical Jesus Christ Supersrat in Belarus verboten wird.

Hintergrund war die Petition von 500 Gläubigen, die sich an die Regionalverwaltung gewandt hatten. Sie hatten insofern Erfolg, als der für Mogilev bereits von dem St. Petersburg Rock Opera Theater angesetzte Aufführungstermin wieder abgesagt und statt dessen die Aufführung der Rockoper „Orpheus und Euridike“ des russischen Komponisten Aleksandr Zhubrin ins Programm genommen wurde.

Mal ganz abgesehen von den finanziellen Verlusten des örtlichen Veranstalters ArtFest war dieser von der Intervention der Kirche überrascht, zumal bisher keine Einwände gegen das Musical überhaupt (das seit 41 Jahren gezeigt wird!) und auch nicht bei den Planungen für mehrere Veranstaltungen in Belarus (Gomel, Mogilyov, Brest and Minsk) erhoben worden waren. Erst jetzt bemängelten die Gläubigen in ihrem Brief, und mit ihnen die Kirche, dass Judas in dem Musical in einem zu positiven Licht dargestellt werde.

Ein Sprecher von ArtFest äußerte sogar Unverständnis darüber, dass in einem säkularen Staat und bei entsprechenden Gesetzen, die ein Verbot nur aufgrund von Gewalt, religiösem Hass oder Pornographie zulassen, die Kirche eine solche Entscheidung herbeiführen kann. Mit diesem Widerspruch sollen sich nun auch das Kulturministerium und das Nationale Komitee für Religiöse Angelegenheiten beschäftigen.

Ein vergleichbarer Einfluss der Kirche auf Staat, Politik und Gesellschaft wie in Russland, ist in Belarus nicht zu beobachten. Zwar ist der Präsident an Feiertagen und zu wichtigen Anlässen häufig in der Kirche zu sehen und auch über Konsultationen Lukaschenkos mit kirchlichen Würdenträgern wird immer wieder berichtet. Die Kirche erhält jedoch kein Geld vom Staat und ist auch in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich getrennt von Politik und Regierung.

Archive in Belarus/Weißrussland

Ein Forschungsprojekt führte mich jüngst erstmals in belarussische Archive. Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen in verschiedenen russischen Archiven zu unterschiedlichen Zeiten, war ich hier überrascht, wie einfach und letztlich unkompliziert der Zugang funktionierte. Natürlich braucht man auch hier ein Empfehlungsschreiben, aber einmal registriert, geht es problemlos.

Mein Thema war der „Große Vaterländische“, für den es einen eigenen, zweisprachigen (russisch – deutsch) Archivführer über die vorhandenen Bestände in allen Archiven von Belarus gibt: Dokumente zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges in den Staatsarchiven der RB, 1941-1945, Minsk 2003.

Ähnlich positive Erfahrungen habe ich im Archiv für Kino- und Fotodokumente sowie im Minsker Bezirksarchiv gemacht. Angeblich ist auch das Militärarchiv für die Nutzung offen, wie es in einem Bericht anlässlich des „Tags der Archivare“ (6. Oktober) in der Militärzeitung heißt. Dieses Abenteuer steht mir noch bevor. Ebenso der Versuch, in das bisher geschlossene KGB-Archiv zu gelangen.

Einen guten Überblick verschaffen kann man sich auf der zentralen Website der Archive, von wo man auch zu allen anderen Archive gelangt.

Akten zur Geschichte von Belarus, die sich in ausländischen Archiven befinden, sollen in einer Datenbank zusammengefasst werden. Das Protal soll Archive der GUS und anderer Staaten zusammenführen. Von besonderem Interesse sind dabei die Dokumente zur Familie der Radziwills, die sich größtenteils in Warschau und teilweise in Litauen, Russland, der Ukraine und Deutschland befinden.

Ein Archivthema, das hier viel Beachtung findet, ist die Ahnenforschung. Auf der Seite der Staatlichen Archive wird gesondert auf weitere Datenbanken und Quellen verwiesen, mit denen man genealogische Forschungen betreiben kann. Hier wiederum gilt ein besonders Augenmerk der jüdischen Geschichte. Was die Suche nach Soldaten in Belarus aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges betrifft, gibt es einen umgekehrten Hinweis auf den Seiten des DRK für Belarus/Weißrussland.

Verfilmung einer Bykov-Erzählung in Cannes

Der u.a. von “Belarusfilm“ mitproduzierte Film „Im Nebel“ nach einer Vorlage des belarussischen Schriftstellers Vassilij Bykov ist Teil des Wettbewerbs bei den Filmfestspielen in Cannes. Der Regisseur Sergei Loznitsa stammt ebenfalls aus Belarus. Thema des Films ist der Widerstand der Partisanen gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg.

Napoleon-Ausstellung im Historischen Museum

In diesem Jahr jährt sich bekanntlich der Überfall Napoleons auf das Russische Reich zum 200. Mal. Aus diesem Anlass zeigt das Nationale Historische Museum seit einigen Wochen eine Sonderausstellung. Der Titel „Der Krieg des Jahres 1812 in der Stadt Minsk“ gibt die Perspektive vor, die sich allerdings nicht konsequent durch die Ausstellung zieht. Vielmehr ist, wie so häufig in hiesigen Sonderausstellungen, auf den ersten Blick weder Konzept noch Gliederung für den Einzelbesucher erkennbar.

Die Ausstellung beginnt in dem ersten der sechs Abschnitte mit einer Bestandsaufnahme der russisch-französischen Beziehungen Anfang des 19. Jh., wirft einen Blick auf die Lage in den Armeen und zeichnet die Kampfhandlungen nach. Dabei liegt der Fokus leider nicht immer erkennbar auf Minsk und den weißrussischen Gebieten. Nur vereinzelt finden sich Bezüge zur Stadt Minsk, etwa in zeitgenössischen Abbildungen oder in Dokumenten.

Die Highlights und Blickfänge der abwechslungsreich und lebendig gestalteten Ausstellung sind Uniformen und Waffen. Nicht alle sind Originale, die Reproduktionen allerdings sind ausgewiesen. Texte zur Orientierung fehlen, es gibt nur einen einleitenden, sehr langen und schlecht lesbaren Text am Eingang der Ausstellung, der die politischen Konstellationen reflektiert. Ein Bildschirm sollte wohl vertiefende Filmdokumente bieten, ist aber bisher nicht in Betrieb. Überhaupt sieht das Konzept vor, die Ausstellung im Laufe des Jahres immer wieder durch Objekte aus den verschiedenen Museen des Landes zu aktualisieren und neue Akzente zu setzen.

Die Kuratoren der Ausstellung sind junge professionelle Museumsleute, die das inhaltliche Konzept ursprünglich stärker auf die Person Napoleons und seine durchaus auch positive Aufnahme in dieser Region fokussieren wollten. Dies schien dem Museum aber nicht geheuer und wurde entsprechend zurückgenommen. Immerhin besteht die Ausstellung darauf, für Weißrussland/Belarus nicht, wie in der russischen und sowjetischen Rezeption üblich, vom „Vaterländischen Krieg“ zu sprechen mit dem Argument, eine Verteidigung des Vaterlandes sei dieser Krieg für die dem Russischen Reich einverleibten weißrussischen Regionen nicht gewesen.

Die Ausstellungskonzeption und weitere Hintergründe zur Ausstellung finden sich in einem Artikel im aktuellen Heft der Zeitschrift „Muzejny Vesnik“ (Музейны Веснiк) .

Belarus/Weißrussland und Vilnius …

Vilnius im März mit den Ständen des Kazimir-Marktes.

… das ist ein langes und schwieriges Kapitel, und ich möchte einen Ausflug nach Vilnius zum Anlass nehmen, einen Blick darauf zu werfen. Das verbindende Element zwischen Vilnius und Belarus war an diesem Wochenende der jährliche Kasimir-Markt, der größte Handwerks- und Volkskunstmarkt in Litauen, der traditionell am ersten März-Wochenende stattfindet. Auch in Grodno stellten an diesem Wochenende Belarussen, Polen und Ukrainer nationale Volkskunst anlässlich des Namenstages des Heiligen Kazimir aus – eine Tradition, die diese historisch sehr heterogen bevölkerte Region verbindet.

Vilnius/Wilna war lange die Hauptstadt des Großfürstentums Litauen und der Polnischen Adelsrepublik mit immer starken weißrussischen Bevölkerungsanteilen. Seit dem 15. Jh. hatte die Stadt das Magdeburger Stadtrecht und entwickelte sich zu einen jüdischen Zentrum Ostmitteleuropas. Seit 1795 gehörte Vilnius in Folge der polnischen Teilungen zum Russischen Reich. Lange stellten die Litauer und Balten neben Juden Polen, Weißrussen und Ukrainer nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

Im Ersten Weltkrieg kam es 1918 unter deutscher Besatzung zur Gründung des ersten unabhängigen Staates Litauen mit Vilnius als Hauptstadt. Bald jedoch wurde die Stadt erst von der Roten Armee, dann von polnischen Truppen besetzt, bis Litauen mit dem Versailler Vertrag unabhängig und Vilnius die Hauptstadt wurde. Als Ergebnis des Polnisch-Litauischen Krieges 1920/1921 kam Vilnius wieder unter polnische Herrschaft, was der Friede von Riga 1921 bestätigte. 1939 besetzte die UdSSR Vilnius in Folge des Hitler-Stalin-Paktes und machte Vilnius 1940 zur Hauptstadt der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Dies wurde Vilnius abermals nach der deutschen Besatzung 1941-44.

Dass genau das ein Fehler war und Vilnius/Wilna nicht der BSSR zugeschlagen wurde, darin sind sich hier jenseits sonstiger Meinungsverschiedenheiten in Belarus alle einig. Aus ihrer Sicht ist Vilnius oder Wilna ein eindeutig weißrussisches Gebiet, in dem sich im 19. Jh. obwohl hier überwiegend polnisch gesprochen wurde, ein Zentrum nationalen weißrussischen Lebens entwickelte. Viele Schriftsteller lebten und arbeiteten in Wilna, 1906 wurde hier die erste weißrussische Zeitung „Naša Niva“ gegründet. Gerade in der Zeit zwischen 1870 und 1914 entfaltete sich hier die nationale Emanzipationsbewegung der Belarussen/Weißrussen.

Diese Entwicklung setzte sich in den 20er Jahren fort, als hier auch das erste belarussische Museum entstand. Es geht zurück auf die historisch und kulturgeschichtlich geprägte Sammlung von Ivan Luckevič. Bei seiner Auflösung 1945/46 wurden die Bestände des Museums auf die Litauische und Belarussische SSR aufgeteilt. Das Historische Museum in Minsk berichtet darüber auf seiner Website. Versuche des Instituts für Belarussische Kultur, das Museum virtuell zu rekonstruieren, sind bisher gescheitert.

Für die Expats in Minsk ist Vilnius ein willkommenes Ausflugsziel, nicht weiter als 2 Stunden Autofahrt entfernt, mit westlichen Einkaufszentren und vertrautem Angebot.   Die Ein- und Ausreise in und aus der EU ist allerdings auch mühsam und mit langen Wartezeiten verbunden und letztlich sicher eher aus kulturell-historischen Gründen lohnend.

Ausführlich zu dem häufig verwirrenden Konglomerat in der Region siehe:
Handbuch der Geschichte Weißrusslands, hg. von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner, Göttingen 2001.

Historikerstreit in der Geschichtswerkstatt

Anlässlich der Vorstellung des neuen Buches des Leiters der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kozak, kam es zu heftigen Debatten unter den fünf Historikern, die in Belarus/Weißrussland für eine mehr oder weniger kritische, an internationalen Standards orientierte Forschung zum Zweiten Weltkrieg stehen. Anlass war die Publikation des Buches „Deutsche und Kollaborateurverluste auf dem Territorium von Belarus während des Großen Vaterländischen Kriegs 1941-1944: Analyse und Ergebnisse“. Zu den Diskutanten gehörten neben dem Autor selbst (Professor an der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität), Aleksej Litvin (Leiter der Sektion für Militärgeschichte in Belarus an der Akademie der Wissenschaften), Anatolij Šarkov, Professor an der Akademie des Innenministeriums), Emanuil Joffe (Politologe, Soziologe und Historiker an der Staatlichen Pädagogischen Universität) und Sergej Novikov (Lehrstuhlleiter für Heimatgeschichte und Weltkultur an der Staatlichen Linguistischen Universität).

Das Buch thematisiert erstmals die Verluste der Besatzer und derer, die mit ihnen zusammengearbeitet haben – ein noch immer ungeliebtes Thema in Belarus und schon deshalb ein mutiges Unterfangen. Für seine Recherchen hat Kozak, in Belarus nicht selbstverständlich, deutsche Archivquellen aus dem Bundes- und dem Bundesmilitärarchiv eingesehen sowie russisch- und deutschsprachige Sekundärliteratur. Ohne Zweifel ist die Arbeit damit ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Belarus und ein Anstoß zu weiteren Diskussionen, auch wenn es hinsichtlich der Methode und Analyse der Zahlen sicher noch einige offene Fragen gibt.

Genau diese waren bereits bei der Präsentation des Buches Anlass zu heftigen Debatten unter den Historikerkollegen. An zwei Fragen machte sich die durchaus kontroverse Auseinandersetzung fest: Wie sind die verschiedenen, bis heute nicht immer nachvollziehbaren Angaben zu den Opfern auf beiden Seiten zu bewerten und wie kann man zu einer wissenschaftlich begründeten These kommen? Und: Was bedeutet „Kollaboration“, wer hat sich schuldig gemacht, wer nur um sein Leben gekämpft?

Alle der genannten Historiker beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit diesen und anderen Fragen zur Geschichte von Besatzung, Krieg und Erinnerung in Belarus. Dabei reicht das Spektrum von einer von der offiziellen Lesart geprägten Position in der Akademie der Wissenschaften über eine offene, auf Zeitzeugenberichten und Oral History basierenden Forschung in der Geschichtswerkstatt und die immer wieder ungeliebte Themen aufgreifende Publikationstätigkeit Joffes bis hin zu einer maximal quellengestützten und vernetzten Forschung bei Novikov. Für mich war es eine zugleich vertraute und in Belarus doch so seltene Erfahrung einer lebhaften, an Fachfragen orientierten offenen und freien Diskussion.

Ausstellung im Kunstmuseum

Foto: http://www.artmuseum.by/

Seit einer Woche ist im Nationalen Kunstmuseum ein Gemälde aus Litauen zu sehen, das aus mehreren Gründen seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es handelt sich um ein Portrait von Vaitiekus Puslovskis (1762-1833) von dem Maler Valentinas Vankavicius/Valentin Vankovič.

Der Portraitierte rückt das Großfürstentum Litauen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, zu dessen einflussreichsten Persönlichkeiten Puslovskis im 18. Jahrhundert gehörte. Für Polen, Litauen und Belarus ist es gleichermaßen ein Bezugspunkt nationaler Vergangenheit. Für Belarus ist es zudem ein politisches Bekenntnis, bei der offiziell verordneten Nähe zu Russland eigene Wurzeln auch und gerade in Mitteleuropa und westlicher Kultur zu suchen. Das transnational Verbindende dieses Erbes war somit auch der Tenor aller Reden auf der Eröffnung der Ausstellung.

Der Person des Malers führt indes weiter in die Tiefen und Untiefen der regional verbindenden Geschichte. Wie viele andere Persönlichkeiten des Großfürstentums wird auch Vankovič von Polen und Belarus in derselben Weise als nationaler Maler reklamiert. Belarus tut dies mit einem eigenen Museum, in dem sich freilich kein einziges Original des Malers befindet. Die Arbeiten Vankovičs sind wiederum in Polen und Litauen zu finden, so dass es nun umso wichtiger für Belarus ist, wenigstens vorübergehend ein Original des Malers ausstellen zu können. Die Situation ist symptomatisch für viele Teile des kulturellen Erbes: Es lässt sich schlicht nicht einer Nation in den heutigen Grenzen zuordnen.

Foto: http://www.artmuseum.by/

Schließlich sind die mit der Ausstellung verbundenen Slutzker Gürtel oder Schärpen der Erwähnung wert. Aus der Sammlung des Litauischen Kunstmuseums sind neben dem Gemälde vier dieser wertvollen Textilien nach Minsk gekommen und erinnern damit an die Ausstellung von 2008-2010, als in Minsk die Sammlung von Schärpen gezeigt wurde, die sich heute im Historischen Museum in Moskau befindet. Bei den Schärpen handelt es sich um eine Laibbinde, die als Gürtel zur traditionellen Kleidung weißrussischer, polnischer und litauischer Adliger zwischen dem 16. und frühen 19. Jahrhundert gehörte und auf den Reichtum ihres Trägers schließen ließ. Für die Kulturgeschichte der Region sind sie von großem Wert, was offenbar auch den Präsidenten bewogen hat, an höchster Stelle darüber zu informieren.

In Minsk und Belarus sind nur noch zwei Slutzker Gürtel vorhanden, sie befinden sich in der Sammlung des Kunstmuseums. Einst gab es eine bedeutende Sammlung von 40 Gürteln, die allerdings im Krieg verloren gin. Genaueres ist nicht bekannt, und gerade deshalb ist das Kunstmuseum an Forschungen zum Verbleib der Sammlung und sogar an einer konkreten Suche interessiert.

Filzkultur

Foto: http://www.aktuell.ru/russland/panorama/filzstiefel

Unbedingt zum Thema Kultur gehören die unverwüstlichen Walenki und ich bin froh, dass das nun auch die FAZ und die ZEIT erkannt haben.

Mit Verzierung oder ohne, mit Innenschuh oder ohne, mit Gummisohle (der moderne Ersatz für die Galoschen aus Gummi) oder ohne stehen sie in verschiedenen dezenten Erdtönen in allen Minsker Schuhgeschäften und machen schon beim Anblick warme Füße.

Sie werden in Smilovichi bei Minsk seit 1928 überwiegend in Handarbeit produziert. Die Wolle kommt allerdings nicht aus Belarus, sondern aus Dagestan, Zentralasien und Belgien. Man sieht die Stiefel an Füßen von Milizionären ebenso wie an denen von Jägern und wohl auch von Häftlingen in sibirischen Lagern. Aktuell kosten sie ca. 20 €, der Fellschuh als Einlage nochmal ca. 5 €.

Zwei Staatssprachen in Belarus/Weißrussland

Die Sprachenfrage in Belarus – das ist ein weites und kontroverses Feld. Unlängst äußerte sich der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Nikolaj Čerginec, dazu und forderte, Belarussisch/weißrussisch stärker zu fördern. Um Belarussisch zu mehr Verbreitung zu verhelfen, sollen beispielsweise Sprachkurse in Institutionen und Firmen angeboten werden, so Čerginec. Schon jetzt seien auf Vorschlag des Verbandes alle Straßen- und Stadtnamen auf Belarussisch angegeben. Eine Tatsache, die übrigens nicht selten zu Verwirrung bei Ausländern und Touristen führt, da sämtliches Kartenmaterial bisher nur auf Russisch vorliegt und sich die Schreibweise bisweilen stark unterscheidet. Die Internetseite des Verbandes ist übrigens ebenfalls auf Russisch verfasst und Čerginec selbst beantwortete die (auch Belarussisch gestellten) Fragen auf der Pressekonferenz ausschließlich auf Russisch.

Auch der Kulturminister nahm sich des Themas an. Er verwies darauf, dass die Förderung der Verbreitung der Belarussischen Sprache zwar Teil des Regierungsprogramms der Jahre 2011-2015 sei, die dort formulierten Ziele bisher aber nicht erreicht worden seien. 2012 könne nun das „Jahr des Buches“ und die Jubiläen von Jakub Kolas und Janka Kupala genutzt werden, insbesondere bei „nationalen“ Einrichtungen die Belarussische Sprache stärker einzusetzen.

Seit 2009 steht die Belarussische Sprache auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Sprachen der UNESCO . Über die reale Verbreitung der Sprache im Land gibt es unterschiedliche Auffassungen. Während in Minsk überwiegend russisch gesprochen wird, ist Belarussisch auf dem Land und im Westteil des Landes stärker verbreitet. Oft handelt es sich hier aber auch um eine Mischsprache, in der sich sowohl russische, polnische, ukrainische und regionale Besonderheiten verbinden. Obwohl die Sprache offiziell nicht gefördert wird, ist sie in einigen Abteilungen von Ministerien und staatlichen Einrichtungen (z.B. Institut für Belarussische Kultur, Nationales Historisches Museum) durchaus als Arbeitssprache üblich.

Zur Geschichte der Sprachenfrage siehe auch:

Hermann Bieder: Der Kampf um die Sprachen im 20. Jahrhundert, in: Handbuch der Geschichte Weißrusslands, hg. von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner, Göttingen 2001, S. 451-471.

Ein Ausflug in die Musikszene

Für die Berichterstattung über die Musikszene in Belarus/Weißrssland gibt es kompetentere Schreiber als mich. Ich will daher nur meine ganz persönlichen Eindrücke von einem Konzert der beliebten Jazzband Apple Tea zum Besten geben. Im Januar hatte ich das Vergnügen, die Band in einem der wenigen Klubs zu hören, die von der alternativen Jugendszene besucht werden. Eine gute Bekannte und Kollegin hatte mich eingeladen, mich mehrfach nervös darauf hingewiesen, dass es mir vielleicht nicht gefallen könnte, handele es sich bei dem Graffiti-Klub doch um einen abgelegenen Ort, schwer zu finden und sicherlich nicht meinen „diplomatischen Erwartungen“ entsprechend. Am Ende war sie ganz erleichtert, dass es mich nicht nur nicht geschockt, sondern es mir sogar ausnehmend gut gefallen hat. Die entspannte und offene Atmosphäre hat mich außer an Berlin an die für uns gar nicht mehr hinterfragte Selbstverständlichkeit einer freien Musikszene erinnert.

Die Band selbst gibt es schon sehr lange, sie hat sich in den späten 80er Jahren gegründet, als in Russland Kino, DDP oder Nautilus Pompilius entstanden. Seitdem hat sie sich vielfältig entwickelt, tritt vor ganz großem Publikum ebenso wie in kleinen Klubs auf und wird gerade dafür bei der kritischen Jugend sehr geschätzt.

Video zu Apple Tea auf Youtube: http://youtu.be/L0h9n7HXvM4

Weitere Informationen zur Musikszene:

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20060306

http://www.eurozine.com/articles/2007-02-08-petz-de.html

Neues aus dem Nationalen Historischen Museum

Das aktuelle Gebäude des Museums. Foto: http://images.yandex.by/

Um das Nationale Historische Museum Weißrusslands/Belarus’ steht es nicht gut. Das ist nichts Neues, aber nun gibt es eine weitere schlechte Nachricht: Das neue Gebäude in der Frunze Straße 19 im Stadtzentrum, in das das Museum mitsamt seinen Sammlungen in naher Zukunft hätte umziehen sollen, um dort endlich Platz für eine neue Dauerausstellung zu haben, wurde einer neuen Bestimmung zugeführt. In Zukunft soll es nicht das Historische Museum, sondern das erst kürzlich ins Leben gerufene Komitee für Aufklärung beherbergen.

Seit langem schon ist das Historische Museum auf der Suche nach einer Lösung für die zahlreichen Herausforderungen. An vorderster Stelle steht dabei der Bedarf an mehr Raum, sowohl für die Ausstellung als auch für die Sammlung. Der Umzug in das renovierte Gebäude hätte diese Probleme lösen können. Eine Alternative wurde dem Museum bisher nicht angeboten.

Eine Alternative ist der Umbau des jetzigen Gebäudes in der Karl-Marx-Straße. Um genug Platz und museumsgerechte Bedingungen für das Historische Museum zu schaffen, müsste das Gebäude grundsaniert und ein neuer Ort für das derzeit ebenfalls im Gebäude untergebrachte Naturkundemuseum gefunden werden. Doch ist weder Geld für den Umbau vorhanden, noch gibt es ein geeignetes Gebäude für das Naturkundemuseum.

Foto: http://images.yandex.by/

Bücher in Belarus/Weißrussland

Der heutige Beginn der XIX. Buchmesse in Minsk (8.-12.2.) sei Anlass darauf hinzuweisen, dass der Präsident dieses Jahr zum Jahr des Buches ausgerufen hat. Neben Veranstaltungen auf der Buchmesse wird es verschiedenen Ausstellungen in Belarus und im Ausland, Konferenzen und eine verstärkte Publikationstätigkeit geben sowie die Feier des 80. Jahrestages des Schriftstellerverbandes. Das Literaturportal Litkritika hat einen Wettbewerb ausgeschrieben.

Zum Programm des Buchjahres gehört auch die Förderung belarussischer Literatur. Dies fügt sich gut, denn in diesem Jahr wird ebenfalls der jeweils 130. Geburtstags der Nationaldichter Jakub Kolas (1882-1956) und Janka Kupala (1882-1942) begangen, zu deren Jubiläen zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, darunter auch auf der Buchmesse und in der Nationalbibliothek.

Gerade hat eine Buchhandlung im Zentrum eröffnet, die insbesondere Bücher belarussischer staatlicher Verlage anbietet. Insgesamt machen die Titel in belarussischer Sprache aber nur 10 % der Buchproduktion aus, eine reale Spiegelung der Sprachensituation im Lande. Ca. 120 Bücher erscheinen im Jahr auf weißrussisch, alle unter staatlicher Kontrolle.

Nicht zur Förderung der belarussischen Literatur passt die Meldung von BelaPan (31.1.) zur bevorstehenden Schließung der Abteilung für belarussische Literatur in der Vitebsker Regionalbibliothek.

Statistik Belarus/Weißrussland

Abb.: http://minsk.gov.by/ru/org/8641/attach/14bf620/obesp_dom_xoz_2011.shtml

Nach so viel Jagdgeschichten wird es Zeit, zum normalen Leben und den harten Fakten zurückzufinden. Wie könnte das besser gelingen als durch Statistik. Offenbar ist das gerade sowohl in Belarus als auch in Deutschland ein Thema. Zunächst hat kürzlich das Amt für Statistik in Minsk  interessante Informationen über das „normale Leben“ in der Hauptstadt veröffentlicht. Demnach verfügen immerhin ¾ aller Haushalte über einen PC, in 100 Haushalten gibt es 167 (!) Farbfernseher und zwei Satellitenempfänger, 106 Kühlschränke, 87 Waschmaschinen, 85 Staubsauger, zwei Spülmaschinen, 67 Mikrowellen, 43 Digitalkameras und 223 Mobiltelefone. Immer mehr Haushalte haben einen eigenen PKW (2001 26 PKWs in 100 Haushalten, im Oktober 2011 schon 42).

Dazu passt es wie geplant, dass in der letzten Woche eine Delegation des Statistischen Bundesamtes  hier in Minsk war, um anlässlich einer Inflation von über 100 % im letzen Jahr eine sog. Preiserhebung zur Bestimmung des sog. Kaufkraftausgleiches durchzuführen. Das heißt im Klartext, es wird geprüft, ob wir hier nicht zu viel Geld verdienen, weil das Leben für uns aufgrund eines günstigen Tauschkurses möglicherweise zu preiswert zu haben ist.

In einem zugleich komplizierten (Vergleichskriterien, Durchschnittswerte etc.) wie letztlich ernüchternd einfachen Verfahren (was es nicht gibt, wird nicht erhoben, keine regionalen Besonderheiten etc.) werden im Laufe einer Woche maximal Preise erhoben, diese statistisch verarbeitet und anschließend geprüft, ob deutsche Beamte vielleicht 50 Pfennig zu viel verdienen (zu wenig ist nicht vorgesehen). Im Falle von Weißrussland ist es schwierig, da Lebensmittel und einige Dienstleistungen sehr teuer, Energie und Benzin aber zum Beispiel für uns sehr günstig sind.

Harren wir also der Dinge, die da kommen. Immerhin gibt es wieder zwei Menschen mehr, die von den realen Lebensbedingungen in Belarus berichten können. Wie die meisten waren sie überrascht, denn „ so schlimm, wie immer berichtet wird, ist es doch gar nicht!“.

Zum Thema Kultur sei noch angemerkt, dass das Nationale Statistische Komitee der RB praktisch keine Daten erhebt und veröffentlicht. Hier sei für den Museumsbereich auf die jährlichen Erhebungen des Instituts für belarussische Kultur verwiesen, in diesem Blog für 2010 publiziert unter: www.tradicia.de/wordpress/archives/816 

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (6)

Glückliche Jäger!

Das war’s! Was für ein Abenteuer! Der Wolf ist dabei nicht mehr in Erscheinung getreten, dafür aber noch mal mehrere Herden Wisente, Rehe und andere Waldbewohner. Außerdem lachte über unserem letzten Jagdtag die Wintersonne bei nach wie vor 16˚C Frost. Die Spurensucher waren aktiv, wenn auch erschöpft, und so wurde doch noch eine Drückjagd möglich, nachdem wir erstmals selber eine echte und klare Wolfsspur im Pulverschnee gesehen haben. Ganz in der Nähe fanden sich dann noch die Reste [sic!] eines Rehs, das mehrere Wölfe am selben Tag gerissen hatten. Offenbar war er selber aber schon weg, so dass das zweistündige Warten in der Kälte ohne Erfolg blieb.

Was die Wölfe von einem Reh übrig gelassen haben.

 

 

 

 

Es blieb dann noch Zeit für einen kurzen Abstecher zu einem Denkmal an einen der vielen historischen Orte im Wald. Ein Gedenkstein erinnert an eines der vielen zerstörten Dörfer. Wer sie zerstört hat, bleibt freilich meist offen, in diesem Fall wohl die Deutschen, 1942 war der Partisanenkrieg noch nicht voll entbrannt. Mehr als dieser Stein erinnert an dieses Dorf nicht, von dem man nicht mal mehr den Namen weiß.

Gedenkstein für ein unbekanntes, zerstörtes Dorf.

 

 

 

Alles in allem konnten wir Waldmenschen wie Bürokraten schließlich doch noch davon überzeugen, dass das ganze Unternehmen für uns ein Erfolg und großes Abenteuer war. Erst dann haben letztere uns verraten, dass sie uns wie die Italiener gefürchtet hatten: Nix klappt bei der eigenen Reiseorganisation, und wenn nicht am ersten Tag erfolgreich geschossen wird, dann hagelt es Beschwerden. Und so trinkfest wie wir seien sie auch nicht! Darauf wurden dann einvernehmlich die letzten Flaschen geleert und eine Verabredung für’s nächste Jahr getroffen! Waidmanns Heil!

Belarus auf der 54. Biennale in Venedig I

Erstmals wieder seit 2005 ist Belarus mit einem eigenen Pavillon in Venedig präsent. Auf 170 m² vertreten die Künstler Yury Alisevich, Artur Klinau, Kanstantsin Kastsiuchenka, Viktar Piatrou und Dzianis Skvartsou ihr Land mit dem Projekt „Kodex“, einer künstlerischen Interpretation von Textdesign. Es ist geplant, einige der Arbeiten im Dezember in Minsk im Museum für zeitgenössische Kunst auszustellen.

Die Teilnahme in diesem Jahr geht auf eine Entscheidung „von ganz oben“ zurück und wird vom Kulturministerium finanziert. Außerdem beteiligt sind das Museum für zeitgenössische Kunst, die Kunstakademie und die Botschaften Italiens in Belarus und von Belarus in Italien. 2009 hatte es die staatliche Kulturförderung, die die zeitgenössische Kunst ohnehin kaum bis gar nicht einschließt, „versäumt“, Belarus auf der Biennale zu präsentieren. Daraufhin initiierten 30 Künstler ein Projekt: Den Weißrussischen Pavillon auf der 53. Biennale in Venedig – in Minsk. Die Ausstellung, die im Juni 2009 im Ausstellungszentrum BelExpo eröffnet wurde, erregte viel Aufmerksamkeit und unterstrich den Vorwurf der Künstler, seitens der staatlichen Stellen werde im Ausland der Eindruck vermittelt, in Belarus mangele es an Gegenwartskunst auf internationalem Niveau – was insofern stimmt, als Künstler hier unter erschwerten Bedingungen kaum Chancen haben, sich international zu entwickeln.

Offenbar aber wollte Belarus diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und schickte nun fünf Vertreter der zeitgenössischen Kunst nach Italien. In der Berichterstattung über die Biennale ist Belarus bisher nicht aufgetaucht, was angesichts der schwierigen Situation, in der sich viele der Künstler im eigenen Land befinden, bedauerlich ist. Umso mehr Aufmerksamkeit sei dem Pavillon in Venedig und damit auch Belarus selbst beschieden!

Einen virtuellen Rundgang durch den Pavillon bietet ein Video auf youtube. Weitere Informationen zu zeitgenössischen Künstlern findet man bei der amerikanischen (!) Galerie BellaBelarus.

Der Große Krieg oder der Erste Weltkrieg II

Der herannahende 100. Jahrestag seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfährt in Belarus eine noch vor 10 Jahren undenkbare Aufmerksamkeit. Am nördlichen Zentrum von Minsk wird ein erst kürzlich entdecktes Massengrab in eine Parkanlage verwandelt. Und erst im letzten Jahr erschien eine Publikation über die „Soldatengräberanlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Belarus“. Die auf deutsch und russisch erschienene Broschüre im DIN A 4-Format enthält neben einer Einleitung zweier belarussischer Historiker (Anatolij Scharkow und Wjatscheslaw Selemenew) eine Übersicht über die nach Gebieten geordneten Gedenksteine, Friedhöfe und Denkmäler in Belarus nebst kurzer Beschreibung, einem Foto und einer Zustandsbeschreibung.

Die Ausgabe wurde vom Österreichischem Schwarzen Kreuz und dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge finanziert und herausgegeben. Neben Vorworten von Vertretern dieser beiden Einrichtungen, gibt es ein Vorwort des Leiters des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz sowie ein „Verzeichnis der österreichischen Gefallenen, die nahe Bereza im gebiet Brest begraben sind“.

Das Heft stellt eine gute Grundlage für weitere Forschungen zum Ersten Weltkrieg in Belarus sowie die Erinnerung an diesen in der Sowjetunion fast vergessenen Krieg dar.

Kultur und Gesellschaft in Belarus auf „Kulturama“

Eine ganz wunderbare Website ist die Plattform von Journalisten und Publizisten, die schwerpunktmäßig aus und über das mittlere und östliche Europa schreiben. Die Internetpräsenz gehört zum Verein „n-ost Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.“ Seit Dezember 2009 schreibt dort auch der Journalist Ingo Petz, der sich seit Jahren mit Reportagen und Hintergrundberichten gerade über die Kulturszene in Weißrussland einen Namen gemacht hat.

Museen und Ausstellungen, zumal als professionelle Institutionen innerhalb der Kulturlandschaft, spielen bei beiden Websites eine eher untergeordnete Rolle.

Belarus-Reise

„Mehr als eine sozialistische Musterstadt“ – Unter diesem Titel bietet die Reiseagentur Ex Oriente Lux eine Reise nach Weißrussland an. Auf dem Programm stehen Minsk und Vitebsk, wobei touristische Besichtigungen und Begegnungen mit Vertretern aus Kultur und Gesellschaft eine vielversprechende Mischung eingehen. Der nächste Termin ist der 29.7. bis 6.8.2011. Nähere Infos unter http://www.eol-reisen.de/destination.php?id=12

Neuerscheinung weißrussischer Literatur in Übersetzung

Kürzlich ist der Roman des belarussischen Autors Alhierd Bacharevič, „Die Elster auf dem Galgen“, in der deutschen Übersetzung von Thomas Weiler erschienen.

Am 11.1.2010 liest der Autor im Scharfrichterhaus in Passau aus seinem Werk. Heute hat der WDR in seiner Sendung SCALA darüber berichtet. Nähere Informationen und Hinweise auf weitere Publikationen von Bacharevič bietet Thomas Weiler im Blog novinki.

Fahrkultur

Ein hartnäckiges interkulturelles Problem ist ja bekanntlich das Autofahren. Die Kulturgrenzen sind sowohl durch so manche Landesgrenze, als auch durch Geschlechter und Generationen markiert. Vor diesem Hintergrund ist es schon schwer genug, sich auf die rauen Sitten auf den Straßen von Minsk einzulassen, wenn man überhaupt vorwärts kommen will. Den einzigen Trost bietet mir dabei immer die Gewissheit, dass es in Moskau alles noch viel schlimmer wäre (und hoffentlich noch zwei Jahre dauert, bis es hier genauso ist). Jedenfalls ist nicht allein das Fahren ein Abenteuer, sondern auch noch das Parken. Nachdem ich neulich einen (legalen!) Parkplatz erobern konnte, sah ich mich später leider als unerfahrene Ausländerin und Frau absolut überfordert, diesen auch wieder zu verlassen, ohne meine Nachbarn zu rammen. Gerettet hat mich ein milde gestimmter LKW-Fahrer, der seelenruhig auf seinem Parkplatz im fließenden Verkehr die Zeitung las. Erwärmt durch meinen Akzent und verzweifelten Augenaufschlag, hatte er ein Einsehen mit mir und rangierte kühn in wenigen Zügen den Wagen aus der Lücke, nachdem der Versuch, mich als Fahrerin in dieser heiklen Lage zu dirigieren, natürlich kläglich gescheitert war.

Servicekultur

In dieser Woche habe ich erneut die sehr positive Erfahrung einer freundlichen und kompetenten Kundenbetreuung gemacht. Es ging um Details unseres Internet-Anschlusses des Anbieters „Delovaja Set’“ in der Wohnung. Schon bei der Service-Hotline am Telefon habe ich ausführlich und in fließendem Englisch Unterstützung erhalten. Als es noch immer Probleme gab, bin ich mitsamt dem technischen Equipment in die Zentrale gefahren. Auch dort erfolgte der Service prompt, freundlich und kompetent. Als ich mich aufrichtig bedankt habe, erhielt ich die schlichte Antwort: „Gerne, das ist unser Job.“ Es mag daran liegen, dass wir in der Kundengruppe „Deutsche Botschaft“ registriert sind, allerdings habe ich diese Erfahrung in den ersten Wochen auch schon an verschiedenen anderen Stellen gemacht. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich, hilfsbereit und zuverlässig.