Expat

Wir sind noch in Minsk: Zur Lage des Militärattachéstabes

Entgegen der Meldungen der letzten Woche in belarussischen Medien sind wir noch hier. Dies ist insofern bemerkenswert, als mehrere belarussische Medien gemeldet hatten, dass wir bereits ausgereist seien. Hintergrund ist eine Meldung im SPIEGEL vom 2.12.2012 zur Entscheidung der Bundesregierung, den Militärattachéstab aus Minsk abzuziehen. Ein interkulturelles Missverständnis  könnte zu einer unterschiedlichen Auslegung dieser Nachricht geführt haben: Offenbar kann sich hier niemand vorstellen, dass eine Entscheidung der Regierung nicht augenblicklich auch umgesetzt werden muss. Die Meldung konnte also nur heißen, dass der Attaché schon weg ist. Diese logische Schlussfolgerung griff dann auch das Fernsehen auf. Höhepunkt war die TV-Sendung „Do svidanija, Niels“ [sic!], die am 4.12. von ONT ausgestrahlt wurde. Dieselbe Sendung wurde am Ende der Woche, in der man die Nachricht hätte überprüfen können, noch einmal ausgestrahlt.

Worum geht es? Hierzu zitiere ich aus dem SPIEGEL:

„Die Bundesregierung in Berlin wird den Militärattachéstab an der deutschen Botschaft in Minsk spätestens 2013 schließen. Sie reagiert damit auf die Unterdrückung der Zivilbevölkerung in Weißrussland: Dies schrieb Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey am vergangenen Dienstag in einem Brief an die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner. Demzufolge ging der Entscheidung ein diplomatischer Disput zwischen Deutschland und Weißrussland voraus: Nachdem die Bundesregierung im September keine Verbesserung der Menschenrechtssituation dort feststellen konnte, hatte sie die Zusammenarbeit mit den Militärs in Minsk weiter eingeschränkt. Weißrussland fühlte sich dadurch provoziert und stoppte die bilaterale Militärkooperation mit der Bundeswehr. Als Reaktion darauf wiederum hat nun Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) entschieden, den Militärattachéstab ganz zu schließen. In Weißrussland herrscht seit 1994 der Diktator Alexander Lukaschenko. Dem Regime in dem osteuropäischen Staat werden schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt.“

Die erste Meldung in Belarus dazu erschien Montag früh (3.12.) im Internet auf der Website von Charta97. Für uns überraschend war, wer und wie viele unserer Partner das an sich verbotene Portal offenbar gründlich lesen. Neben den meisten persönlichen Bekannten und Freunden, die einer nach dem anderen anriefen, um sich nach dem aktuellen Stand zu erkundigen, konnte auch die zuständige Abteilung im belarussischen Verteidigungsministerium die Information nur von dort haben, so schnell wie der Anruf am Montag morgen kam. In der Folge griffen weitere unabhängige belarussische Internetmedien (BelaPAN, Interfax, ex-Press.by) die Meldung unter Berufung auf dpa und Deutsche Welle auf.

Eine offizielle Reaktion der belarussischen Seite erfolgte im Laufe des 3. Dezember durch den Sprecher des Außenministeriums, Andrej Sawinych. Diese lautete wie folgt: Die deutsche Seite sei berechtigt, die Struktur und die Richtlinien der Tätigkeit ihrer diplomatischen Vertreter zu bestimmen. Jedoch sei es aus der verlautbarten Formulierung verständlich, dass dies ein erdachter Schritt sei, der im Widerspruch zu den gesamteuropäischen Anstrengungen zur Festigung der Sicherheit stehe. Die belarussische Regierung sei der Meinung, dass diese Entscheidung mit der Zuspitzung des politischen Kampfes zwischen den Parteistrukturen innerhalb Deutschlands zusammenhänge. Deutsche Politiker, indem sie sich von Parteimanövern hinreißen ließen, verlören den gesunden Menschenverstand und fassten absurde Beschlüsse. In diesem Kontext könne man den Verteidigungsminister nur bemitleiden, denn wie bekannt, kenne die Absurdität keine Grenzen (www.mfa.gov.by vom 3.12.2012).

Ich hätte es nicht treffender formulieren können: Es ist absurd. Zu diesem Eindruck (freilich aus anderen Gründen als die belarussische Regierung) kommt man jedenfalls, wenn man sich die Entwicklung anschaut, die der Entscheidung vorausgegangen ist. Beeinflusst wurde diese wohl auch durch die unglückliche sommerliche Berichterstattung über die Kooperation der Bundespolizei mit der Polizei in Belarus. Um weiteren Druck der Medien zu verhindern hat man wohl kurzerhand beschlossen, dass nicht nur die polizeiliche, sondern auch die militärische Zusammenarbeit zu unerwünschten Fragen führen könnte – und stellt sie ein. Bereits zuvor hatte es kaum nachvollziehbare Einschränkungen der Arbeit hier vor Ort gegeben. Schon zu dieser Zeit war dies der einzige Militärattachéstab, der solchen Restriktionen unterliegt. Die jetzt im Spiegel angedeuteten Auseinandersetzungen auf diplomatischer Ebene sind letztlich selbst verursacht, eben indem die Zusammenarbeit immer weiter eingeschränkt wurde. Naturgemäß hat es Reaktionen der Belarussen gegeben. Die Spirale der Aktionen und Reaktionen hat sich letztlich verselbständigt bzw. auf beiden Seiten zu unterschiedlichen Informationsständen geführt, die kaum mehr zu beheben sind, ohne weitere Verstimmungen hervorzurufen. Der Hinweis der deutschern Seite auf die „angespannte Menschenrechtslage“ wird dabei in jeder beliebigen Nachricht über Belarus gebetsmühlenartig herangezogen. In Iran und Syrien freilich bleibt alles beim Alten: Die Militärattachés sind  nach wie vor im Dienst (Damaskus von Beirut). Also auch hier stellen wir wieder mal fest: Die Wege der Diplomatie sind unergründlich. Was all das genau für uns persönlich bedeutet, wird gerade an anderer Stelle beraten: Die offizielle Sprachregelung des Auswärtigen Amtes vom 3.12.2012 lautet: Aufgrund der aktuellen Lage hat die Bundesregierung entschieden, den Militärattachéstab in Minsk abzuziehen. Die organisatorischen Maßnahmen und detaillierte Zeitabläufe werden derzeit abgestimmt.

Derweil war selbst die traditionelle Weihnachtsfeier der Deutschlehrer mit dem Militärattachéstab ein Politikum, die Belarussen mussten kurzfristig absagen.

Wieder einmal hängt also das Damokles-Schwert über uns – wie schon einmal in diesem Jahr fürchten wir, dass unsere Zeit hier in Minsk schneller zu Ende geht, als wir es uns wünschen. Während wir im April und Mai mit einer Ausweisung durch Belarus als Reaktion auf die Sanktionen der EU gerechnet haben, sind wir aktuell ein Objekt deutscher Entscheidungsprozesse. Das Pikante dabei ist, dass wir (= Niels) selber schuld ist, weil er ausgesprochen hat, was alle wissen: Genau genommen ist ein MilAtt-Stab in Belarus nicht unbedingt erforderlich. Nachdem alle bisherigen Berichte in irgendwelchen Schubladen verschwunden sind, ist ausgerechnet dieser auf dem Schreibtisch des IBuK (für Nicht-Militärs: Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt = Verteidigungsminister) gelandet, der sich wohl dachte: Endlich sagt mal einer die Wahrheit und zack – Schluss mit dem schönen Diplomatenleben. Ich hätte nie gedacht, dass das Diplomatenleben in einem Land, das eigentlich keiner kennt und für das sich auch eigentlich keiner interessiert, so nervenaufreibend sein kann.

Weihnachtsmarkt

Erstmals veranstaltet die Deutsche Botschaft in diesem Jahr zusammen mit dem Goethe-Institut einen Weihnachtsbasar. Er findet am 8.12.2012 von 12.00 Uhr bis 16.00 Uhr im Kinder- und Jugendpalast statt.

Angeboten werden deutsche Spezialitäten, eine Tombola für einen guten Zweck, deutsche Weihnachtslieder,  Weihnachtsgeschenke usw. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!!

Die einzige evangelische Kirche in Belarus

Bisher bin ich noch gar nicht dazu gekommen, über einen weiteren Ausflug raus aus der Hauptstadt zu berichten, nämlich nach Westen an die polnische Grenze, nach Grodno. Anlass für diese Reise war die 100-Jahr-Feier der dortigen evangelischen Kirche (was übrigens auf russisch auch so heißt, wenn eine protestantische Gemeinde gemeint ist).

Die dortige Gemeinde mit ihrem jungen Pfarrer Wladimir Tatarnikow ist die einzige in Belarus, die über ein eigenes Gotteshaus verfügt. Die anderen, wenigen protestantischen Gruppen von Gläubigen, treffen sich in wechselnd angemieteten Räumen, wie z.B. in Minsk, wo im Winter kein Gottesdienst stattfinden, weil nicht geheizt werden kann. Die evangelische Kirche des Landes ist zersplittert in eine selbständige Lutherische Kirche, einige unabhängige Gemeinden und die lutherische Gemeinde in Grodno, die enge Beziehungen zur EKD unterhält.

Der vormalige deutsche Botschafter, Dr. Christof Weil, hatte sich persönlich für die Erhaltung der St. Johanniskirche eingesetzt, der jetzt finanzielle Mittel aus Deutschland von der EKD, dem Auswärtigen Amt, der Evangelischen Kirchengemeinde in Berlin-Frohnau sowie privater Sponsoren zukommen. Neue Kirchenbänke kamen von einer Gemeinde in Hannover. Die Kirche war 1779 von deutschen Kaufleuten gegründet und 1912 neu gestaltet worden. Zwischen 1944 und 1994 befand sich dort ein Archiv. Erst 1995 erhielt die kleine Gemeinde das Gotteshaus zurück.

Bei der Feier am 10. Juni waren viele Deutsche, meist aus Minsk, aber auch viele Einwohner Grodnos, je ein Vertreter der orthodoxen und der katholischen Kirche sowie die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde in Berlin-Frohnau anwesend. Allein der Vertreter der streng gläubigen jüdischen Gemeinde war nicht anwesend. Nach einem Gottesdienst blieb es dem Nuntius des Papstes überlassen, das Ereignis auch politisch einzuordnen. Mit den Worten „Unsere Dimension ist die Ewigkeit“ verwies er alle Versuche politsicher Einmischung und Beeinträchtigung des religiösen Lebens in Belarus von sich.

Weitere Informationen: Belarus-Perspektiven 2/2012, S. 25. http://www.ibb-d.de/belarus_perspektiven.html und http://zetgrodno.com/lyuteranskaya-kirha-v-grodno

Evangelisch-Lutherische St.Johanniskirche, Evangelisch-Lutherische Gemeinde Grodno
Wladimir Tatarnikow, Gemeindepastor
Adresse: 230023 Grodno, Akademitscheskaia st.7 A. Belarus
www.luther.by, http://www.belaruslutheran.com

Евангелическо-Лютеранская Церковь св.Иоанна, Евангелическо-Лютеранская община Гродно
Владимир Татарников, пастор
Адрес: 230023 г. Гродно, ул. Академическая 7А. Беларусь
www.luther.by, http://www.belaruslutheran.com

Globalisierung II

Meist können wir mit unserem derzeitigen Wohnort in Minsk bzw. Belarus bei Mitreisenden, Freunden oder Bekannten wohliges Erstaunen hervorrufen. Nicht selten werden Fragen nach dem Grad der Zivilisation und den Extremen des Klimas gestellt. Nicht so bei einem Ausflug zu Freunden in das benachbarte Polen, wo wir 50 km von der russischen Grenze an den Masurischen Seen in ein wahrlich globales Dorf geraten sind.

Die Gastgeber selbst hatten gerade einige Jahre im, freilich wenig beliebten, Nachbarland verbracht, wo wir sie auch kennengelernt hatten. Weitere Sommergäste stammten aus Warschau, darunter gebürtige Polen, die Belarus sowieso für eine eigentlich polnische Provinz halten – wie übrigens auch den heute russischen Teil Ostpreußens, große Teile Litauens, einige Gegenden der Ukraine usw. Andere kamen zwar aus Warschau angereist, wo sie sogar einen festen Wohnsitz haben, aber aus aller Herrn Länder zugereist sind: Jean-Louis ist von tadelloser französischer Geburt wie Erscheinung, spricht glänzendes Englisch mit wunderbarem französischem Akzent und vertritt ein französisches Unternehmen in Polen. Seine Zukünftige (die Hochzeit auf den französischen Gütern steht unmittelbar bevor), Tanja, stammt aus der östlichen Ukraine, wo sie aber schon 10 Jahre nicht mehr war (weil ihre Eltern seit langem in Odessa leben), weil sie zunächst in Kiew, später in Moskau gearbeitet hat, wo sie sich aber angesichts des rüden Gebarens der russischen Polizei als Bürgerin eines freien und demokratischen Landes nicht willkommen fühlte und in das europäische Warschau übersiedelte. All das, versteht, sich in makellosem Englisch, wahlweise russisch oder polnisch.

Mit von der Partie war ihre Schwester Anja, die tags zuvor für eine Stippvisite zu ihrer Schwester nach Warschau gekommen war, und zwar aus Madrid, wo sie vorübergehend wohnt und natürlich spanisch gelernt hat, bevor sie mit ihrem spanischen Freund in die USA übersiedelt, wo nun mal die Kunden ihres gemeinsamen Internetbusinessunternehmens leben.

Jean-Louis, Tanja und Anja sind allesamt Freunde des Sohnes des Hausherren, der ebenfalls mit seiner Frau aus Warschau anwesend war und jüngste Reiseberichte von Ausflügen nach Nepal und Mexiko beisteuerte. Die Eltern trugen es mit Fassung, freuten sich auf ein ruhiges Wochenende im Ferienhaus und wollten von Minsk sowieso schon nichts mehr wissen. Da waren sie nicht die einzigen.

Globalisierung I

Bisher dachte ich immer, mit Belarus eine einigermaßen interessante Destination beim Reisen zu haben. Wie normal und europäisch Weißrussland allerdings ist, erfuhr ich neulich bei meiner Ankunft am Frankfurter Flughafen. Eine junge Blondine aus den USA verwickelte, zunächst auf Englisch, zahlreiche Fahrgäste des Flughafentranferbusses in ein Gespräch, in dem die Globalisierung zum Greifen nahe war. Zunächst stellte sie fest, dass sie und ein weiterer Mitreisender sich bereits in London beim Umsteigen getroffen hatten. Wie sich herausstellte, war dieser im heimatlichen Tschad auf Reisen gegangen, von dem die Amerikanerin indessen bisher nichts gehört hatte. Sie selbst war, wie sie freimütig berichtete, heute aus Chicago gekommen, um ihren deutschen Freund, der schüchtern neben ihr Platz genommen hatte, in Frankfurt zu besuchen. Dieses war für den Mann aus dem Tschad nur eine weitere Zwischenstation auf dem Weg nach Magdeburg zum Klassentreffen. Dort war er, wie er nun in nahezu akzentfreiem Deutsch den Umstehenden berichtete, vor 25 Jahren zum Ingenieursstudium gewesen, denn der Tschad habe damals wie heute dringend Fachkräfte gebraucht. Das bestätigte ein Ehepaar mittleren Alters mit Backpacker-Gepäck in reinstem Hochdeutsch, erkundigte sich aber höflich, wo denn Magdeburg gelegen sei. Dies wiederum erstaunte den Zentralafrikaner, der sogleich erfuhr, dass die beiden aus Südafrika stammten und das erste Mal in Deutschland waren. Währenddessen führte die junge Frau aus Chicago ein unangemessen ernstes Gespräch (übrigens in leidlichem deutsch) mit ihrem Freund über die Nachteile einer Fernbeziehung über geschätzte 10.000 km. Aber auch in einem so ernsten Fall spielt offenbar das Wetter eine erhebliche Rolle, weshalb sie sich bei einer bisher unbeteiligten jungen Frau erkundigte, ob die Sommer hier in Deutschland immer so schlecht seien. Diese antwortete, dass sie zwar eine gebürtige Mannheimerin sei, aber seit geraumer Zeit in Dubai lebe, wo die Sommer nebenbei bemerkt immer heiß seien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kam mir Belarus so unspektakulär zentraleuropäisch vor wie sonst nur Magdeburg oder Mannheim.

Reitsport in Belarus/Weißrussland

Der Außenreitplatz in Baran'.

Die Eröffnung der Grünen Saison auch in Belarus ist Anlass, noch mal einen Blick auf die Reiter- und Pferdeszene zu werfen. Seit April laufen die Qualifikationsturniere in Ratomka, wobei mir erst nach einem Jahr wirklich bewusst geworden ist, dass es eine Turnierszene wie bei uns in Deutschland gar nicht gibt. Es sind einfach zu wenig Reiter, die daran teilnehmen, auch wenn der Sport sich zunehmend verbreitet. Jedenfalls finden Turniere in der Dressur unterhalb von S gar nicht statt, die Wettbewerbe beginnen mit „Malyj Priz“ („Kleiner Preis“ = St. Georg) über „Mittlerer Preis“ (= Intermediaire) bis zum „Großen Preis“ (= Grand Prix). Bei den Springern und Vielseitigkeitsreitern ist es etwas anders, hier teilt sich die Spreu vom Weizen durch die Höhe, so dass man im Vergleich sagen könnte, die Turniere beginnen auf L-Niveau.

Insgesamt wird die Szene durch die wenigen Profi-Reiter bestimmt. Meine eigenen Ausflüge haben mich z.B. zu Alesija Tarasevich (Springen), zu Ekaterina Efremova (Dressur) und Irina Lis (Dressur) und zum „Zentrum der olympischen Reserve im Reitsport und der Pferdezucht“ in Baran’ und einem Richter-Fortbildungsseminar bei Natalja Petuchova geführt. An den Olympischen Spielen nimmt in diesem Jahr nur die Vielseitigkeitsreiterin Elena Telepuschkina teil.

Im Freizeitbereich ist der Reitsport allerdings auch auf dem Vormarsch. Immer mehr Kinder und Jugendliche nutzen die mittlerweile zahlreichen Angebote. Eine systematische Förderung oder ein Vereinswesen gibt es bisher nicht. Eigene Pferde werden immer mehr zum Statussymbol der neuen Mittelschicht. Die Unterbringung in einem Stall mit Halle und Vollpension kostet durchschnittlich 200 $, was bei einem Durchschnittseinkommen von 150-400$ eine stattliche Summe ist. Im letzten Jahr fand die erste und bisher einzige Pferdemesse in Minsk statt. Hier war zu beobachten, dass der Reitsport in die Konzeption des Ökotourismus integriert wird.

Belarussischer Reitsportverband: http://www.horses.org.by/

Nationales Reitsportzentrum Ratomka: http://www.ratomka.of.by/

Belarussische Gesellschaft für Reitsport und Hippotherapie: http://www.sudarrb.com/ru.html

Reitsport-Portal: http://www.podkova.by/
Hier sind u.a. Reitsportanlagen, Adressen zur Zucht und Geschäfte genannt, darunter das einzige Internet-Versand in Belarus: http://www.horsemarket.of.by/

Weitere Links und Infos bietet die private Seite: http://www.koni.by/

Belarus/Weißrussland und Vilnius …

Vilnius im März mit den Ständen des Kazimir-Marktes.

… das ist ein langes und schwieriges Kapitel, und ich möchte einen Ausflug nach Vilnius zum Anlass nehmen, einen Blick darauf zu werfen. Das verbindende Element zwischen Vilnius und Belarus war an diesem Wochenende der jährliche Kasimir-Markt, der größte Handwerks- und Volkskunstmarkt in Litauen, der traditionell am ersten März-Wochenende stattfindet. Auch in Grodno stellten an diesem Wochenende Belarussen, Polen und Ukrainer nationale Volkskunst anlässlich des Namenstages des Heiligen Kazimir aus – eine Tradition, die diese historisch sehr heterogen bevölkerte Region verbindet.

Vilnius/Wilna war lange die Hauptstadt des Großfürstentums Litauen und der Polnischen Adelsrepublik mit immer starken weißrussischen Bevölkerungsanteilen. Seit dem 15. Jh. hatte die Stadt das Magdeburger Stadtrecht und entwickelte sich zu einen jüdischen Zentrum Ostmitteleuropas. Seit 1795 gehörte Vilnius in Folge der polnischen Teilungen zum Russischen Reich. Lange stellten die Litauer und Balten neben Juden Polen, Weißrussen und Ukrainer nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

Im Ersten Weltkrieg kam es 1918 unter deutscher Besatzung zur Gründung des ersten unabhängigen Staates Litauen mit Vilnius als Hauptstadt. Bald jedoch wurde die Stadt erst von der Roten Armee, dann von polnischen Truppen besetzt, bis Litauen mit dem Versailler Vertrag unabhängig und Vilnius die Hauptstadt wurde. Als Ergebnis des Polnisch-Litauischen Krieges 1920/1921 kam Vilnius wieder unter polnische Herrschaft, was der Friede von Riga 1921 bestätigte. 1939 besetzte die UdSSR Vilnius in Folge des Hitler-Stalin-Paktes und machte Vilnius 1940 zur Hauptstadt der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Dies wurde Vilnius abermals nach der deutschen Besatzung 1941-44.

Dass genau das ein Fehler war und Vilnius/Wilna nicht der BSSR zugeschlagen wurde, darin sind sich hier jenseits sonstiger Meinungsverschiedenheiten in Belarus alle einig. Aus ihrer Sicht ist Vilnius oder Wilna ein eindeutig weißrussisches Gebiet, in dem sich im 19. Jh. obwohl hier überwiegend polnisch gesprochen wurde, ein Zentrum nationalen weißrussischen Lebens entwickelte. Viele Schriftsteller lebten und arbeiteten in Wilna, 1906 wurde hier die erste weißrussische Zeitung „Naša Niva“ gegründet. Gerade in der Zeit zwischen 1870 und 1914 entfaltete sich hier die nationale Emanzipationsbewegung der Belarussen/Weißrussen.

Diese Entwicklung setzte sich in den 20er Jahren fort, als hier auch das erste belarussische Museum entstand. Es geht zurück auf die historisch und kulturgeschichtlich geprägte Sammlung von Ivan Luckevič. Bei seiner Auflösung 1945/46 wurden die Bestände des Museums auf die Litauische und Belarussische SSR aufgeteilt. Das Historische Museum in Minsk berichtet darüber auf seiner Website. Versuche des Instituts für Belarussische Kultur, das Museum virtuell zu rekonstruieren, sind bisher gescheitert.

Für die Expats in Minsk ist Vilnius ein willkommenes Ausflugsziel, nicht weiter als 2 Stunden Autofahrt entfernt, mit westlichen Einkaufszentren und vertrautem Angebot.   Die Ein- und Ausreise in und aus der EU ist allerdings auch mühsam und mit langen Wartezeiten verbunden und letztlich sicher eher aus kulturell-historischen Gründen lohnend.

Ausführlich zu dem häufig verwirrenden Konglomerat in der Region siehe:
Handbuch der Geschichte Weißrusslands, hg. von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner, Göttingen 2001.

Statistik Belarus/Weißrussland

Abb.: http://minsk.gov.by/ru/org/8641/attach/14bf620/obesp_dom_xoz_2011.shtml

Nach so viel Jagdgeschichten wird es Zeit, zum normalen Leben und den harten Fakten zurückzufinden. Wie könnte das besser gelingen als durch Statistik. Offenbar ist das gerade sowohl in Belarus als auch in Deutschland ein Thema. Zunächst hat kürzlich das Amt für Statistik in Minsk  interessante Informationen über das „normale Leben“ in der Hauptstadt veröffentlicht. Demnach verfügen immerhin ¾ aller Haushalte über einen PC, in 100 Haushalten gibt es 167 (!) Farbfernseher und zwei Satellitenempfänger, 106 Kühlschränke, 87 Waschmaschinen, 85 Staubsauger, zwei Spülmaschinen, 67 Mikrowellen, 43 Digitalkameras und 223 Mobiltelefone. Immer mehr Haushalte haben einen eigenen PKW (2001 26 PKWs in 100 Haushalten, im Oktober 2011 schon 42).

Dazu passt es wie geplant, dass in der letzten Woche eine Delegation des Statistischen Bundesamtes  hier in Minsk war, um anlässlich einer Inflation von über 100 % im letzen Jahr eine sog. Preiserhebung zur Bestimmung des sog. Kaufkraftausgleiches durchzuführen. Das heißt im Klartext, es wird geprüft, ob wir hier nicht zu viel Geld verdienen, weil das Leben für uns aufgrund eines günstigen Tauschkurses möglicherweise zu preiswert zu haben ist.

In einem zugleich komplizierten (Vergleichskriterien, Durchschnittswerte etc.) wie letztlich ernüchternd einfachen Verfahren (was es nicht gibt, wird nicht erhoben, keine regionalen Besonderheiten etc.) werden im Laufe einer Woche maximal Preise erhoben, diese statistisch verarbeitet und anschließend geprüft, ob deutsche Beamte vielleicht 50 Pfennig zu viel verdienen (zu wenig ist nicht vorgesehen). Im Falle von Weißrussland ist es schwierig, da Lebensmittel und einige Dienstleistungen sehr teuer, Energie und Benzin aber zum Beispiel für uns sehr günstig sind.

Harren wir also der Dinge, die da kommen. Immerhin gibt es wieder zwei Menschen mehr, die von den realen Lebensbedingungen in Belarus berichten können. Wie die meisten waren sie überrascht, denn „ so schlimm, wie immer berichtet wird, ist es doch gar nicht!“.

Zum Thema Kultur sei noch angemerkt, dass das Nationale Statistische Komitee der RB praktisch keine Daten erhebt und veröffentlicht. Hier sei für den Museumsbereich auf die jährlichen Erhebungen des Instituts für belarussische Kultur verwiesen, in diesem Blog für 2010 publiziert unter: www.tradicia.de/wordpress/archives/816 

Die Wolfsjagd – Epilog

Noch immer hängt mir meine Begegnung mit den Wisenten nach – diese stille gegenseitige Betrachtung in im tief verschneiten, frostigen Wald, voller Verwunderung über den anderen. In diese Träumerei hinein kommt die Meldung von BelaPan vom 30. Januar: Offenbar aufgrund eines Jägerfehlers (!) ist in der Region um Gomel’ ein weibliches Wisent getötet und ein weiteres verletzt worden. Erst Tage später wurden sie in dem wenig besiedelten Gebiet gefunden. Ob das verletzte Tier überlebt, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Von den Jägern, die die Tiere vermutlich mit Wildschweinen verwechselt hatten, keine Spur. So grausam kann die Jagd sein!

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (6)

Glückliche Jäger!

Das war’s! Was für ein Abenteuer! Der Wolf ist dabei nicht mehr in Erscheinung getreten, dafür aber noch mal mehrere Herden Wisente, Rehe und andere Waldbewohner. Außerdem lachte über unserem letzten Jagdtag die Wintersonne bei nach wie vor 16˚C Frost. Die Spurensucher waren aktiv, wenn auch erschöpft, und so wurde doch noch eine Drückjagd möglich, nachdem wir erstmals selber eine echte und klare Wolfsspur im Pulverschnee gesehen haben. Ganz in der Nähe fanden sich dann noch die Reste [sic!] eines Rehs, das mehrere Wölfe am selben Tag gerissen hatten. Offenbar war er selber aber schon weg, so dass das zweistündige Warten in der Kälte ohne Erfolg blieb.

Was die Wölfe von einem Reh übrig gelassen haben.

 

 

 

 

Es blieb dann noch Zeit für einen kurzen Abstecher zu einem Denkmal an einen der vielen historischen Orte im Wald. Ein Gedenkstein erinnert an eines der vielen zerstörten Dörfer. Wer sie zerstört hat, bleibt freilich meist offen, in diesem Fall wohl die Deutschen, 1942 war der Partisanenkrieg noch nicht voll entbrannt. Mehr als dieser Stein erinnert an dieses Dorf nicht, von dem man nicht mal mehr den Namen weiß.

Gedenkstein für ein unbekanntes, zerstörtes Dorf.

 

 

 

Alles in allem konnten wir Waldmenschen wie Bürokraten schließlich doch noch davon überzeugen, dass das ganze Unternehmen für uns ein Erfolg und großes Abenteuer war. Erst dann haben letztere uns verraten, dass sie uns wie die Italiener gefürchtet hatten: Nix klappt bei der eigenen Reiseorganisation, und wenn nicht am ersten Tag erfolgreich geschossen wird, dann hagelt es Beschwerden. Und so trinkfest wie wir seien sie auch nicht! Darauf wurden dann einvernehmlich die letzten Flaschen geleert und eine Verabredung für’s nächste Jahr getroffen! Waidmanns Heil!

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (5)

Allmählich wird es eng. Heute ist der letzte Tag und bisher hat sich der Wolf nicht gezeigt. Offenbar sind außer den Bürokraten (schlechte Publicity!) auch die Waldmenschen enttäuscht, was sich an dem deutlich verminderten Wodkaverbrauch messen ließ. Für sie fällt das Wochenende aus, heute, am Samstag, heißt es wieder stundenlang bei eisiger Kälte (heute morgen – 16˚C) Spuren suchen, zu Fuß und auf Skiern. Morgen kommen schon die nächsten Jäger – Gott sei Dank nur zur Wildschweinjagd, also einer leichten Beute gegenüber dem Wolf.
Derweil genießt mein Schwiegervater den Schnee, die Wintersonne und den Wald. Von dessen Zustand ist er ganz begeistert, kann er es als Jäger, Landwirt und Waldbesitzer doch beurteilen. Bemerkenswert ist zunächst die wirklich große Fläche des Waldes in Belarus, dem einzigen Land in Europa, in dem der Verbrauch, also die Abholzung des Waldes, hinter dessen Zuwachs zurückbleibt. Hierfür gibt es offenbar mehrere Gründe. Zum einen hat es nach dem Krieg bis in die 50er Jahren eine systematische Aufforstung gegeben, bei der die Männer, so berichteten uns die Waldmenschen, die Löcher mit den Spaten gestoßen und Frauen und Kinder die Setzlinge eingepflanzt haben. Sieht man mal von den sicher katastrophalen Arbeitsbedingungen ab, so hat sich das für den Wald sehr bewährt. Auch die Tatsache, dass selbst abgelegene Gebiete mit der Gaszentralheizung versorgt sind, also nicht auf den sprichwörtlichen Ofen angewiesen sind, schont den Wald, der in großen Teilen unter Naturschutz steht. Hinzu kommt ein, offenbar im Unterschied zu Russland, gut organisierter und effektiver Brandschutz im Sommer, der freilich vom feuchteren Klima begünstigt wird.
Ein Blick in die Dörfer offenbart noch etwas anderes: Trotz postsowjetischer Planwirtschaft, zeigt sich gerade hier, anders als in dem am Reißbrett und im sozialistischen Größenwahn geplanten Minsk, die offenbar nicht auszurottende Tradition und Kultur der Selbstversorgung und Eigeninitiative – auch dies deutlich anders, als in Russland. Hier bekommt das Sprichwort, die Belarussen seien die Deutschen unter den Slawen, einen greifbaren Sinn. Die Häuser, teilweise noch aus ganz altem, also Vorkriegs-Baumbestand gebaut, und die Vorgärten sind gepflegt und individuell angelegt. Bezugspunkte in der Umgebung sind die Kirchen, fast in jedem größeren Dorf stehen neben den katholischen (die vom Einfluss Polens zeugen) teilweise neue orthodoxe Gotteshäuser (um sich gegen die Katholiken zu behaupten!).
Der Wald ist dabei zugleich Objekt der Hege und Pflege, ebenso wie der Nutzung. So war die letzte Aktion nach erfolgloser Jagd gestern Abend die Anlieferung eines riesigen Stückes Biberfleisches auf unserer verschneiten Kreuzung im Wald, bestimmt für ein Minsker Restaurant.  Während die Städter die Delikatesse aus dem Wald genießen, nutzen die Waldmenschen alle Teile des Bibers – vom Fleisch über das Fell, die Innereien, die Knochen und vor allem das Fett.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (4)

Foto: Ochota 12 (2011)

Um es gleich zu sagen: Der Wolf macht es weiterhin spannend. Auch an Tag vier des Abenteuers hat er sich nicht gezeigt. Was offenbar die Experten von BelGosOchota deutlich mehr beunruhigt, als meine Schwiegervater. Mit gewohnter Ruhe und Gelassenheit erinnert er an die unvergleichliche Scheu des Wolfes, der nur wenigen Jägern das Jagdglück beschwert. Die russische Zeitschrift „Ochota“ (Jagd) widmete dieser Faszination ein ganzes Heft im Dezember 2011 .
Über die Beweggründe des Wolfes, sich nicht zu zeigen, ließ sich auch gestern– bei noch milden 6-8 ˚C Frost und Speck und Wodka im Wald – trefflich spekulieren: Ist es ihm zu kalt und er schläft, um Kräfte zu sparen? Oder ist es noch nicht lange genug kalt, um auf Futtersuche gehen zu müssen? Sind die besonderen Umstände der Ranzzeit verantwortlich? Gibt es zu viele Rehe in der Gegend, so dass er satt ist und nicht umherzieht? Oder gibt es gar zu wenig Rehe in der Gegend, so dass er immer neue Wälder aufsucht – und in der Nacht bis zu 30 bis 40 km zurücklegt?
Noch immer heißt es also warten. Dies gestaltet sich indes als ein weiterer Kurs in Landeskunde. Immer klarer wird der Unterschied zwischen den Bürokraten und den Waldmenschen. War es schon ein Abenteuer, den Veranstaltern einen Vertrag über die vereinbarten Leistungen abzuringen, so zeigt sich jetzt einmal mehr ihre Aversion, sich in irgendeiner Form festzulegen. Immer wieder wird ein weiteres Telefonat vereinbart, muss der Direktor befragt und die Lage neu analysiert und wiederholt darauf hingewiesen werden, dass es keine Garantie gibt, um nicht festgenagelt zu werden. Dass das ganze Unterfangen einfach ein Vergnügen und eine unvergessliche Erfahrung ist – mit oder ohne Wolf, will ihnen nicht einleuchten. Und da sie zwischen uns und den Waldmenschen stehen, und die Waldmenschen von den Bürokraten abhängig sind (auch wenn es umgekehrt sein sollte), können wir sie davon auch nicht mehr überzeugen.
Ob das in der Harmonie des Wodkagelages gemachte Versprechen, diese Jagd werde nicht ohne den Wolf beendet, tatsächlich eingehalten werden kann, ist also nach wie vor offen. Derzeit läuft der nächste Versuch bei mittlerweile 15 ˚C Frost. Ich persönlich glaube ja, dass es daran liegt, dass niemand Kontakt mit dem Wolf aufgenommen hat. Aber das will natürlich keiner hören, es sei denn, die Waldmenschen haben genau das getan, und der Wolf hat entschieden, dass wir nicht würdig sind, ihm gegenüberzutreten.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (3)

Vorausgesetzt dieses Abenteuer folgt einer geschäftsfördernden Dramaturgie von BelGosOchota, dann ist diese Strategie bisher perfekt: Nachdem sich am ersten Tag kein einziges Tier gezeigt hat, der zweite Tag die Spannung insofern steigerte, als mangels neuer Spuren des Wolfs überhaupt kein Jagdausflug stattfinden konnte, sind wir gestern, Tag 3, in eine neue Phase eingetreten und nun alle restlos vom Jagdfieber gepackt.
Zunächst ging es bei  9 ˚C unter Null in einem ungeheizten, klapprigen Landrover Marke Eigenbau Richtung Naturschutzgebiet westlich von Ivaniec mitten in die Pushcha (in diesem Fall die Volzhinskaja oder Pershajskaja Puscha), wo am Samstag drei Wölfe gesichtet und seit Februar 2010 13 von ihnen geschossen wurden. Zunächst sollte der Treffpunkt ein Freigehege für die im Wald frei lebenden Wisente sein, die dort über die Neujahrfeiertage zur Besichtigung vorübergehend gefangen wurden. Offenbar kamen 10.000 Menschen zwei Wochen, um sie zu sehen, bevor sie wieder frei gelassen wurden. Während wir auf den Rest der Jagdtruppe warteten, kamen 16 der in der Nähe herumstreunenden Tiere ganz langsam auf uns zu. Ein bisschen unheimlich war es schon, gerade diese langsame Annäherung, bei der sich erst allmählich die imposante Größe dieser Urtiere offenbart. Schließlich waren wir fast umringt von großen und kleinen, weiblichen und männlichen Wisenten, die uns ebenso ungläubig musterten, wie wir sie. Und so standen wir eine ganze Weile und haben dieses Schauspiel in der Stille des Waldes genossen. Unterbrochen wurden wir durch den Anruf, der uns zum richtigen Treffpunkt lotsen sollte – die zuverlässige Abdeckung mit Handynetzen jedenfalls macht auch von einem dichten belarussischen Wald nicht halt.
Weiter ging es tiefer in die Pushcha hinein, vorbei an weiteren Herden von Wisenten, zahlreichen Rehen und einigen Wildschweinen (nur die Elche haben sich uns nicht gezeigt) bis zur „Hauptkreuzung mitten in der Pushcha“, d.h. eine tief verschneite Lichtung mitten im Nirgendwo, an der es allerdings tatsächlich an diesem Tag zu verschiedenen Kollisionen von bis zu 6 Autos kam. Dort kamen wir wieder zurück zu den Anfängen, nämlich das Warten auf den Wolf.
Etwa 8-10 Männer, echte Waldmenschen und Naturburschen, wie sie die zivilisierte Damenwelt nur noch selten zu Gesicht bekommt, waren für uns im Einsatz: Der Chef des Nationalparks, unser Betreuer und der Chef von BelGosOchota und vor allem die Spurensucher. Sie sind die wahren Helden der Wolfsjagd, nur sie können ihn aufspüren. Die Wolfsjagd ist eine der schwierigsten und benötigt viele Leute im Einsatz. Schwierig war es auch gestern, da es in der Nacht und auch am Tage wieder geschneit hatte und alle Spuren bedeckt waren. Und so haben wir gewartet, auf Marat und Igor, die beiden Brüder, die in der Pushcha aufgewachsen sind und eine von insgesamt sieben Häusern auf dem Gebiet des Urwaldes bis heute bewohnen. Erst wenn sie frische Spuren gefunden haben, legen sie die „Lappen“ um die Fundstelle herum und grenzen damit das Gebiet ab, in dem sich die Jäger etwa alle 300m aufstellen, um bewegungslos und schussbereit auf den Wolf zu warten.
Immer wieder kamen sie aus verschiedenen Richtungen zu unserer Kreuzung zurück, immer wieder ohne Ergebnis. Einen Wolf haben wir auch gestern noch nicht gesehen, uns dafür aber die Zeit unvergesslich vertrieben. Dazu beigetragen haben Unmengen von Selbstgebranntem, ebenfalls Unmengen von selbstgemachter Wildwurst, geräucherten Schweineohren, eingelegtem Kohl und sauren Gurken, Blinis und Waldkräutertee und viele Geschichten rund um den Wald. Wie er im Krieg großflächig gelitten, aber auch zum Straßenbau, zum Versteck der Partisanen und dem Wiederaufbau von Dörfern beigetragen hat. Wo die Tiere sich aufhalten und wohin sie zur Nacht wandern. Wo die Beeren wachsen, wo welche Bäume aufgeforstet und wie sie gepflegt werden. Wie die Menschen mit und von dem Wald leben und ihn lieben. Dass es West- und Ostbelarussen gibt und die Pushcha das Herz aller Westbelarussen höher schlagen lässt. Es wurde gesunden und gesprochen, auf belarussisch, polnisch, in einer Mischsprache, auf Mat und auch auf russisch, damit ich es verstehen konnte. Je dämmriger es wurde und je mehr Vodka floss, desto melancholischer  wurden die Waldmenschen, rezitierten Gedichte und waren froh, ihre Liebe zur eigenen Sprache, Kultur und Natur mit uns zu teilen.
Als wir nach Einbruch der Dunkelheit nach Minsk aufgebrochen sind, wobei unterwegs noch zahlreiche weitere Toasts ausgebracht wurden, war ich mir gar nicht sicher, was mich mehr beeindruckt und auch berührt hat: Die Wisente oder die Waldmenschen.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (2)

Wolfsjagd in Belarus. Foto: http://www.berliner-zeitung.de/brandenburg/jagdgesetz-die-jaeger-und-der-wolf,10809312,11271432.html

Als ob ich es vorhergesehen hätte: Ein Wolf hat sich zum Auftakt der Jagd ebenso wenig gezeigt, wie irgendein anderes Tier! Wie zur Beruhigung und Aufmunterung zugleich war dafür sicherheitshalber der Direktor von BelGosOchota mit ins Gelände gefahren – immerhin hat er in diesem Winter schon drei Wölfe geschossen!
Während sie bei uns in Deutschland nicht geschossen werden dürfen (sich deshalb auch wieder ausbreiten), leben in Belarus über 1.000 Wölfe, ein großer Teil davon in der Gegend Richtung Tschernobyl, wo nicht geschossen wird.
Jäger gibt es viele, die Anforderungen zur Prüfung sind im Vergleich zu Deutschland leicht. Das eigentliche Jägerhandwerk ist dann jedoch mühsam, der Umgang mit Waffen erfordert eine ungeheure Bürokratie und zudem ist es schwer (und/oder teuer), an gute Waffen zu kommen.
Für uns heißt es weiter warten auf den Wolf. Damit die Zeit nicht zu lang wird, gab es gestern schon mal reichlich Wodka, der dann auch die letzten Sprachbarrieren zu überwinden hilft. Und er wärmt, denn heute heißt es wieder: stundenlang bewegungslos stehen, mit dem Gewehr im Anschlag.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (1)

Das Auslegen der „Lappen“, Foto: Ochota 12 (2011).

Bekanntlich bietet die belarussische Natur ein weites Betätigungsfeld für Jäger. Der Jagdtourismus wird gefördert, die Infrastruktur stetig ausgebaut. Und doch bleibt das Jagen ein Sport für Abenteurer, und wer an einen organisierten Urlaub denkt, liegt völlig falsch.
Dies erfahren wir gerade am Beispiel meines Schwiegervaters, seines Zeichens leidenschaftlicher und erfahrener Jäger, Waldbesitzer und Vorsitzender der Jagdgenossenschaft in seinem Revier. Nun ist er, wen wundert’s, nach Belarus gekommen, um auch hier sein Glück zu versuchen. Von Wildschweinen redet hier niemand, hier geht es um mehr: Hirsche, Elche, Luchse und auch Bären reizen den Jäger. Am schwierigsten jedoch ist die Wolfsjagd, und genau diese hält uns seit gestern in Atem.
Genau genommen hat es ja schon vorher angefangen, als wir nämlich versucht haben, diese Reise zu organisieren. Viele Möglichkeiten hat man nicht, man wendet sich auch hier vertrauensvoll an den Staat, an BelGosOchota. Mündliche Absprachen unter Jägern und ein Handschlag sollten die Sache besiegeln, und unser Wunsch nach einem Vertrag brachte schon die ersten Schwierigkeiten mit sich.
Die zweite Sorge bereitete das Wetter. Der im Dezember ungewöhnlich milde Winter ohne Schnee drohte uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Doch das sprichwörtliche Jägerglück stellte sich mit 20 cm Schnee pünktlich Mitte Januar ein.
Die nächste Hürde war dann die Einreise mit der Waffe. Es hätte mich schon stutzig machen müssen, als wir die Kontrollen der Bundespolizei problemlos und freundlich absolviert hatten. Die Ernüchterung kam beim Schalter der Belavia: Trotz aller erdenklicher Anfragen, wie es geht und was wir brauchen, hatten wir das entscheidende Dokument nicht, ohne dass es wirklich und unter keinen Umständen geht, denn „in Belarus ist man sehr streng mit Waffen“. Eine Zeitlang sah es tatsächlich so aus, als wäre das bereits das Ende der Geschichte. Einige Telefonate, das entscheidende ein Monolog Fedor Fedorovichs von BelGosOchota gegenüber dem Belavia-Tageschef, haben dann nach vertrauter Methode dazu geführt, dass es dann heute auch ausnahmsweise mal ohne das Dokument geht.
Nachdem die Waffe dann als Übergepäck bezahlt und als Sperrgepäck aufgegeben war, konnte es losgehen. Hier in Minsk läuft bisher alles nach Plan, wenngleich den auch nur Fedor Fedorovich kennt. Eben jener hat uns empfangen und die Waffe nach einer eher gelangweilten Prüfung des Zolls an sich genommen. Die Überprüfung der Munition ist hier wie dort übrigens unter den Tisch gefallen… Also haben wir uns auf den Heimweg gemacht, um Fedor Fedorovich mitsamt Waffe nach Hause zu bringen. Bass erstaunt darüber, dass wir gar kein Wässerchen zur Begrüßung vorbereitet hatten, kam er nach einem Augenblick mit einer Flasche und einem Teller voll zünftiger Speisen zurück zum Auto, so dass wir erstmal auf das deutsch-belarussische Jägerglück anstoßen konnten.

Nun hängt alles vom Wetter und dem Wolf ab. Ob er Spuren hinterlässt und nicht „durch die Lappen geht“ (so heißt es auf deutsch und auf russisch), ist unter ständiger Beobachtung der Experten. Zur Sondierung des Terrains sind die Herren heute Mittag rausgefahren – 70 km nordöstlich von Minsk. Was auch immer dort passiert, es wird zweifellos die Jägerbande unserer Länder vertiefen – mit oder ohne Erscheinen des Wolfs.

Zwischen den Jahren

Die "Haupttanne des Landes" steht vor dem Palast der Republik. Foto: http://www.snpltd.ru/new_year/belorussia/Minsk_K_3days/

Es ist jedes Jahr dasselbe, man lebt in der Spannung der letzten Tage und Stunden des einen und in der freudigen und zugleich bangen Erwartung des kommenden Jahres. So war es auch dieses Mal – unserem ersten Sylvester in Belarus, nur wurde die Spannung der letzten Stunden dramatisch gesteigert durch die Zwischenlage, in der wir uns hier befinden.
Stichwort Diplomatie: Am liebsten wäre ich ja zu Hause geblieben, zumal wir aus unserem 18. Stockwerk zweifellos einen phantastischen Ausblick auf das Feuerwerk gehabt hätten. Aber die Pflicht rief, also folgten wir ihr in Form einer Einladung unserer diplomatischen Nachbarn (aus deutscher wie aus belarussischer Perspektive). Die erste Wahl, den Abend gemeinsam in einem zünftigen Restaurant in der Innenstadt mit allem Drum und Dran zu verbringen, wurde kurzfristig abgelöst durch die durchaus vornehmere Wahl zugunsten des ersten Hotels am Platz. Hier sollten uns, gegen eine nicht unerhebliche Eintrittsgebühr (etwa ein Monatsgehalt in Belarus!), ein „hochwertiges“ Showprogramm und ein „ausgezeichnetes“ Menü erwarten. Die Frage, ob die Damen in lang und die Herrn im Smoking gehen, erledigte sich, als sich herausstellte, dass die Getränke selbst mitzubringen seien. Dass es sich dennoch um ein erstklassiges Hotel handelt, haben wir der tröstlichen Nachricht entnommen, dass es stets im Fokus der Aufmerksamkeit steht, insbesondere durch die „Dienste“, die es natürlich auch hier besonders auf die Deutschen und Polen abgesehen haben.
Stichwort Feiern: Dass die Belarussen gerne und ausgiebig feiern, ist bekannt und das haben sie auch in dieser Nacht getan: Viel essen, viel trinken, viel tanzen, und das mit der ganzen Familie und über mehrere Generationen hinweg. Ein leichtes Naserümpfen gab es allein von den Nachbarn – hier sei man es gewöhnt, viel mehr zu tanzen und nicht so lange zu essen. Auch bringe man keine Kinder mit zur Sylvesterfeier, allerdings zeigte man sich einsichtig, dass in Belarus bekanntlich das Neujahrsfest weniger dem „westeuropäischen“ Sylvester als dem Weihnachtsfest im Familienkreis gleiche. Und überhaupt, die Entscheidung für diesen Ort sei gut und richtig gewesen, schließlich sei hier alles auf „ausgesprochen hohem Niveau“. Darin waren sie sich dann auch mit den Belarussen einig, insbesondere was den Auftritt der „Zigeuner“ gegen 3.00 Uhr morgens betraf. Ein Feuerwerk hat offenbar niemand außer uns vermisst.
Stichwort Zeit: Aufgrund der Zeitzonen sowie unterschiedlicher Auffassungen zur halbjährlichen Zeitumstellung hatten wir das Vergnügen, viermal auf den Jahreswechsel anzustoßen. Nachdem die Feierlichkeiten überhaupt erst um 22.00 Uhr begonnen hatten, waren als erstes die Russen dran – wer sonst. Kurz vor 23.00 Uhr Minsker Ortszeit übermittelte Präsident Medwedew seine guten Wünsche für das kommende Jahr, und spätestens nach den würdevollen Klängen der Nationalhymne und dem ersten Erheben der Gläser wurde deutlich, wer die Russen unter uns waren. Nach einer nur kurzen Verschnaufpause waren dann die Belarussen dran, nur dass hier die Ansprache des Präsidenten wesentlich länger dauerte, dafür aber niemand mehr der Nationalhymne lauschte. Die anwesenden Litauer und Ukrainer beschränkten sich sodann eine Stunde später auf das Anstoßen und verstärktes Tanzen, um dann mit allen anderen gemeinsam um 2.00 Uhr Ortszeit die letzte Gelegenheit zu ergreifen, endlich auch die Deutschen und die Polen ins neue Jahr zu begleiten. Erst jetzt meldeten sich ebenfalls anwesende Österreicher zu Wort, um den Neujahrsgruß in einer weiteren Fremdsprache zu Gehör zu bringen. Abschließend gratulierte der Animateur allen Nationen und ihren Metropolen zum neuen Jahr, konnte sich aber nicht mehr an die Hauptstadt von Österreich erinnern.
Gegen 6.00 Uhr waren wir zu Hause, nicht ohne dass uns der noch einzig verfügbare Taxifahrer die vierfache Summe des Normalpreises abgenommen hatte. Es war ein ebenso schöner wie wunderlicher Abend, aus dem nicht nur die deutsch-polnische Freundschaft gestärkt hervorgeht, sondern auch die aller Mitteleuropäer.

International Women’s Club (IWC)

Ein aktueller Anlass gibt mir die Gelegenheit, ein Wort über den Internationalen Frauenclub zu verlieren. Auch in Minsk unterhält diese weltweite Charity-Organisation seit 20 Jahren eine Abteilung und bietet damit den Begleiterinnen (bis dato so gut wie alles Damen) aller Expats (bis dato so gut wie alles Männer) einen Raum für gemeinsame Unternehmungen. Angesprochen sind also die Ehefrauen der Botschaftsangehörigen, ebenso wie der Wirtschaftsvertreter oder der Angestellten von internationalen Organisationen.

Leider fehlt mir der Vergleich aus anderen Ländern, da ich mich ja zum ersten Mal in dieser Rolle befinde. Aber im Vergleich zu dem, was ich vom Hören-Sagen weiß, ist die Minsker Abteilung zum einen eher klein, zum anderen deutlich „ostlastig“. Damit meine ich die Damen aus, ich hätte fast gesagt, den Schurkenstaaten, also Syrien, Venezuela, China, Kazachstan, Polen, Ukraine, Russland, Jordanien, Baltikum etc. Selten trifft man Damen aus der westlichen Hemisphäre, wie kürzlich aus Italien oder Belgien. Einerseits verwundert dieser Befund, da die „klassischen“ Botschaften (fast) alle auch in Belarus vertreten sind. Richtig ist aber auch, dass viele dieser Botschaften, z.B. USA oder Großbritannien, mit vergleichsweise wenig Personal im Lande sind (die USA haben bekanntlich keinen Botschafter in Belarus). Hinzu kommt, dass die lingua franca in der diplomatic community hier eindeutig russisch ist, ein englischsprachiges Gesellschaftsleben also praktisch nicht stattfindet. Zwar werden die Sitzungen des IWC auf russisch und englisch abgehalten, allerdings ist die allgemeine Umgangssprache untereinander und bei Veranstaltungen in der Regel russisch.

Charity-Veranstaltung im Juli 2011 mit Präsentation des Kochbuchs.

Den eigentlichen Zweck des IWC, nämlich das Sammeln von Geldern für wohltätige Zwecke, erfüllt der Club auf eindrucksvolle Weise (im letzten Jahr kamen 52.000 $ zusammen). Veranstaltungen wie das jährlich stattfindende Charity-Dinner, der Weihnachtsbasar oder jüngst die Publikation eines internationalen Kochbuchs kommen zahlreichen sozialen Einrichtungen wie Kinder- und Altenheimen zu gute. Einen Eindruck vermittelt der TV-Bericht, der die letzte Veranstaltung am 22. September  dokumentiert.

Vorsitzende des Minsker Clubs ist übrigens derzeit die Gattin des iranischen Botschafters. Eine eigene Website hat der Club nicht.

Im Dienste des Vaterlandes

Heute war ein Frauentag. Das sind die Tage, an denen ich als „Ehefrau des Oberstleutnant“ unterwegs bin. So steht es in meinem Diplomatenpass, und zwar unter „Dienstbezeichnung“. Eigentlich bin ich gewöhnt, hier zwischen „Historikerin“, „Ausstellungskuratorin“ oder „Dozentin“ zu wählen, aber für den ausfüllenden Beamten im BMVg war das keine Frage, als man unsere Daten für den Pass aufgenommen hat. Es wird auch nicht vermerkt, welchem Oberstleutnant ich als Ehefrau zugehörig bin – immerhin tragen ja viele Eheleute heutzutage weiterhin ihren eigenen Familiennamen, aber sei’s drum, für meine Dienstverpflichtungen spielt das schließlich keine Rolle.

Heute war ich also zuerst um 10.30 Uhr zum Frühstück bei Frau Q. einer anderen, jüngst erst eingetroffenen Ehefrau aus dem Kreis der MAPs (=mit ausreisender Partner). Ein guter Start an einem sonnigen Frühlingstag, zumal im häufig doch anstrengenden russischsprachigen Alltag endlich mal wieder die Aussicht auf eine entspannte, weil unbedeutende deutsche Konversation, besteht.

Ich rufe also Frau Q. auf dem Handy an, um mich in dem verschachtelten Minsker Hinterhof, irgendwo in der Nähe ihres Wohnhauses, zu orientieren. Freudig versichert sie mir in verschiedenen Sprachen, von denen keine deutsch ist, gleich bei mir zu sein. Sprach’s, und kommt im sommerlichen Flatterkleid und eleganten Flipflops aus dem Haus. Ihr feuriges Erscheinungsbild lässt auf die Südsee schließen, was sie in einem Sprachgemisch sogleich bestätigt. Im Ambiente der großzügigen Wohnung voller exotischer Möbel, Kunst und Erinnerungsstücke, serviert sie nach dem Eintreffen weiterer Damen einen perfekten deutschen Apfelkuchen und berichtet von den Dauerbaustellen aller Umzüge aus der Elfenbeinküste nach Malaysia nach Deutschland nach Kenia nach Kiew nach China nach Minsk. Hilfe oder Tipps zu den Minsker Verhältnissen braucht sie keine, dafür ist sie auf der Grundlage jahrelanger Erfahrungen sogleich bereit, bei der Organisation des anstehenden Empfangs des International Women’s Club durch die deutschen Damen zu helfen. Gesagt, getan, alle Fragen sind geklärt.

Ich muss mich leider verabschieden, um nicht zu spät zu meinem Massagetermin um 13.00 Uhr zu kommen, der mich von den Verspannungen der zahllosen und anstrengenden Termine an der Cocktailfront befreien wird. Flugs fahre ich also zum 1. Städtischen Krankenhaus und parke aufgrund der bereits eingetretenen leichten Verzögerung auf dem Gehsteig, was ärgerlich für die Fußgänger und verzeihlich für die Polizei ist – beides aufgrund des Diplomatenkennzeichens.

Wellnessmäßig entspannt geht es gegen 14.30 Uhr weiter zur nächsten Dienstverpflichtung, dem House-Keeping für eine weitere betroffene Ehrefrau. Gerne helfe ich aus, zumal wir bemerkt haben, dass es uns zwei beide aus demselben Abiturjahrgang aus derselben mittelgroßen, deutschen Bundesstadt in die weißrussische Hauptstadt verschlagen hat. Das verbindet. Und außerdem ist die Dame mit ihrem Göttergatten auf Heimaturlaub, so dass ich auf eine Mitfahrgelegenheit für zahlreiche in Küche und Haushalt vermisste Utensilien und Zutaten hoffen kann.

Solchermaßen motiviert, mache ich mich auf den Weg in den Supermarkt, um die letzten Zutaten für das heutige Abendessen zu besorgen, das ich gegen 19.00 Uhr meinem eigenen Gatten zu servieren gedenke, denn auch das gehört schließlich zu meinen patriotischen Verpflichtungen. Wofür ich übrigens, das möchte ich nicht verschweigen, ein „Nadelgeld“ (sic!) erhalte. Für’s Vaterland.

Was für ein schöner Tag! Morgen ist wieder ein normaler Arbeitstag. Ich freue mich auf meinen Schreibtisch.

Auf diplomatischem Parkett

Neulich bei einem Empfang in einer Botschaft eines befreundeten Nachbarlandes. Anlass war der Tag der Streitkräfte. Wenn also das Publikum bei den Veranstaltungen des diplomatischen Korps sowieso schon getrost als konservativ bezeichnet werden kann, dann gilt das bei den Events der Militärattachéstäbe umso mehr. Diesem Befund entspricht die Gepflogenheit, dass Damen und Herren den Abend mehr oder weniger getrennt verbringen, um nur gelegentlich beim Flanieren aufeinander zu treffen und auf das Wohl des Gastgebers und seiner Streitkräfte anzustoßen.

Die vertrauten Gespräche der Damen erhielten Anregung, als sich im Laufe des Abends die Gattin des Botschafters dazu gesellte. Elegant gekleidet, mittleren Alters, edles Parfum. Im Plauderton ließ sie wissen, wie sehr sie es begrüße, dass die Damen der Militärattachés jüngst Gelegenheit hatten, sich anlässlich eines Nachmittagskaffees auf Einladung der Gattin des deutschen Attachés auszutauschen. Solche kulturellen Gesellschaften seien gar nicht zu überschätzen, – eine Bemerkung, die sie mit einem charmanten Lächeln und dem Ausdruck unerschütterlicher Überzeugung allseitiger Zustimmung begleitete. Schließlich sei unser Gastgeberland diesbezüglich noch ein wenig hinter dem Mond, nur einer der Gründe, warum sie regelmäßig in die eigene Heimatmetropole reise. Nur auf diese Weise könne man verhindern, den Anschluss an Stil und Form Europas zu verlieren. Wie recht sie hat! Ich muss unbedingt mal wieder nach Kiew fahren.

Zeitungskultur

Internationale Zeitungen sind in Minsk bekanntlich Mangelware. Zu kaufen sind sie gar nicht, zu lesen nur an sehr wenigen Orten. Einer davon ist das News Café in der Ul. Karla Marksa. Hier gibt es eine, freilich überschaubare Auswahl tagesaktueller und ein bis zwei Tage alte Zeitungen. Welche genau verfügbar sind, schwankt, meist sind jedoch die aktuelle ZEIT, die WELT und Frankfurter Allgemeine Zeitung vorhanden. Hinzu kommen das Handelsblatt, einige Wirtschafts- und Managermagazine sowie englisch- und russischsprachige Zeitungen und Journale.

Ein deutlich geringeres Angebot hält das Grand Café in der Ul. Lenina vor, immerhin waren hier in letzter Zeit die ZEIT und die WELT (einige Tage alt) zu haben.

An den staatseigenen Kiosken und Zeitungsläden („Белсоюздрук“) gibt es dagegen ein zwar beeindruckend großes Angebot an Zeitungen, das sich jedoch auf den zweiten Blick in den staatlich kontrollierten Ausgaben der Tageszeitungen sowie zahlreichen Fachzeitungen und –zeitschriften (Angeln, Jagen, Heimwerken, Kochen, „Frauenthemen“ etc.) erschöpft.

Goethe Institut Minsk

Zwar soll es hier um die Kultur und Geschichte Belarus gehen, aber es sei mir als Neuankömmling in einem fremden Land erlaubt, auch dem Goethe-Institut einen Besuch abzustatten. Neben den permanenten Angeboten von Sprachkursen und der Bibliothek, bietet das Institut eine Reihe von Veranstaltungen zu Themen der deutschen Literatur, Kultur und Wissenschaft. Viele der Programmpunkte in diesem Jahr standen im Zeichen des 20. Jahrestages der Deutschen Einheit. Aktuelle Infos bietet der, auf weißrussisch geschriebene, Blog .

Fahrkultur

Ein hartnäckiges interkulturelles Problem ist ja bekanntlich das Autofahren. Die Kulturgrenzen sind sowohl durch so manche Landesgrenze, als auch durch Geschlechter und Generationen markiert. Vor diesem Hintergrund ist es schon schwer genug, sich auf die rauen Sitten auf den Straßen von Minsk einzulassen, wenn man überhaupt vorwärts kommen will. Den einzigen Trost bietet mir dabei immer die Gewissheit, dass es in Moskau alles noch viel schlimmer wäre (und hoffentlich noch zwei Jahre dauert, bis es hier genauso ist). Jedenfalls ist nicht allein das Fahren ein Abenteuer, sondern auch noch das Parken. Nachdem ich neulich einen (legalen!) Parkplatz erobern konnte, sah ich mich später leider als unerfahrene Ausländerin und Frau absolut überfordert, diesen auch wieder zu verlassen, ohne meine Nachbarn zu rammen. Gerettet hat mich ein milde gestimmter LKW-Fahrer, der seelenruhig auf seinem Parkplatz im fließenden Verkehr die Zeitung las. Erwärmt durch meinen Akzent und verzweifelten Augenaufschlag, hatte er ein Einsehen mit mir und rangierte kühn in wenigen Zügen den Wagen aus der Lücke, nachdem der Versuch, mich als Fahrerin in dieser heiklen Lage zu dirigieren, natürlich kläglich gescheitert war.

Servicekultur

In dieser Woche habe ich erneut die sehr positive Erfahrung einer freundlichen und kompetenten Kundenbetreuung gemacht. Es ging um Details unseres Internet-Anschlusses des Anbieters „Delovaja Set’“ in der Wohnung. Schon bei der Service-Hotline am Telefon habe ich ausführlich und in fließendem Englisch Unterstützung erhalten. Als es noch immer Probleme gab, bin ich mitsamt dem technischen Equipment in die Zentrale gefahren. Auch dort erfolgte der Service prompt, freundlich und kompetent. Als ich mich aufrichtig bedankt habe, erhielt ich die schlichte Antwort: „Gerne, das ist unser Job.“ Es mag daran liegen, dass wir in der Kundengruppe „Deutsche Botschaft“ registriert sind, allerdings habe ich diese Erfahrung in den ersten Wochen auch schon an verschiedenen anderen Stellen gemacht. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich, hilfsbereit und zuverlässig.