Fotoausstellung zum Alltagsleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

In über 130 Fotos entfaltet die derzeitige Sonderausstellung der Aufnahmen des Geistlichen Pavel Volyncevich (1875-1962) im Nationalen Historischen Museum ein Tableau ländlichen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jh. Der Dorfpfarrer, der mehrere Pfarreien im Gebiet Grodno innehatte, hat als Hobby-Fotograph zahlreiche Bilder seines Familienlebens, der Kirchen und des Alltags auf dem Dorf gemacht. Der Bestand ist nicht nur deshalb von großem Interesse, weil durch ihn seltene Abbildungen etwa heute zerstörter Gebäude oder des täglichen Lebens vorhanden, sondern auch, weil wenig Fotosammlungen auf Glasplatten überhaupt bis heute erhalten geblieben sind. Aufgrund der eigenen, akribischen Ordnung seiner Fotos sowie durch ergänzende Archivstudien war es nun möglich, das Leben Volyncevichs anhand seiner Bilder nachzuvollziehen.

Leider erfährt man jedoch nichts in der Ausstellung über die Einflüsse der historischen Ereignisse auf das Leben des Pfarrers (bzw. eines Dorfgeistlichen im Allgemeinen), seiner Gemeinden und seiner Familie. Allein Grodno befand sich in der von Revolution, Erstem Weltkrieg und Bürgerkrieg, Kollektivierung, Terror, Okkupation und Zweitem Weltkrieg geprägten Periode zuerst im Russischen Reich, unter deutscher Besatzung (1915-1919), in Polen, der Sowjetunion, wieder unter deutscher Besatzung (1941-1944) und schließlich wieder in der Sowjetunion. Es wäre spannend gewesen, die Fotos eines offenbar friedlichen Land- und Familienlebens in diesem größeren Kontext zu betrachten.

Weitere Informationen unter: http://religia.by/pravoslavie/segodnya-otkrylas-fotovystavka-pavel-volyncevich-fotoletopis-dlinoyu-v-polstoletiya

Nationales Historisches Museum

Blick in die Dauerausstellung.

Ambivalent fällt mein Urteil über das Nationale Historische Museum der republik Belarus (bis 2009 das Nationales Museum der Geschichte und Kultur von Belarus) in Minsk aus. Man bekommt nicht, was man erwartet, kann aber doch anregende Stunden dort verbringen.

Offenbar ist das Museum eher auf Minsker und belarussisches Publikum eingestellt, als auf Touristen und Fremde. Jedenfalls erhält man nicht, wie ich finde zu erwarten wäre, eine Einführung oder einen Überblick in die weißrussische Geschichte. Vielmehr setzt sich die Dauerausstellung aus einzelnen thematischen Abschnitten zusammen, die allenfalls ein mosaikartig zusammengesetztes Bild von der belarussischen Geschichte abgeben. Der Rundgang beginnt mit der (offenbar noch aus sowjetischen Zeiten stammenden) Präsentation archäologischer Funde auf heutigem belarussischem Gebiet. Und damit ist gleich ein zentrales Thema angesprochen: Wo und wann beginnt eigentlich „belarussische Geschichte“?  Wie hat sich das heutige Staatsgebiet entwickelt?

Leider gibt auch der weitere Rundgang, wie der erste Saal selbst, darüber keinen Aufschluss. Übergreifende Saaltexte sucht man vergeblich. Vielmehr durchwandert der Besucher einzelne Räume, die jeweils einem in sich geschlossenen Thema oder einer Sonderausstellung außerhalb eines Rundgangs gewidmet sind.

Weiterlesen

Zeitungskultur

Internationale Zeitungen sind in Minsk bekanntlich Mangelware. Zu kaufen sind sie gar nicht, zu lesen nur an sehr wenigen Orten. Einer davon ist das News Café in der Ul. Karla Marksa. Hier gibt es eine, freilich überschaubare Auswahl tagesaktueller und ein bis zwei Tage alte Zeitungen. Welche genau verfügbar sind, schwankt, meist sind jedoch die aktuelle ZEIT, die WELT und Frankfurter Allgemeine Zeitung vorhanden. Hinzu kommen das Handelsblatt, einige Wirtschafts- und Managermagazine sowie englisch- und russischsprachige Zeitungen und Journale.

Ein deutlich geringeres Angebot hält das Grand Café in der Ul. Lenina vor, immerhin waren hier in letzter Zeit die ZEIT und die WELT (einige Tage alt) zu haben.

An den staatseigenen Kiosken und Zeitungsläden („Белсоюздрук“) gibt es dagegen ein zwar beeindruckend großes Angebot an Zeitungen, das sich jedoch auf den zweiten Blick in den staatlich kontrollierten Ausgaben der Tageszeitungen sowie zahlreichen Fachzeitungen und –zeitschriften (Angeln, Jagen, Heimwerken, Kochen, „Frauenthemen“ etc.) erschöpft.

Belarus-Reise

„Mehr als eine sozialistische Musterstadt“ – Unter diesem Titel bietet die Reiseagentur Ex Oriente Lux eine Reise nach Weißrussland an. Auf dem Programm stehen Minsk und Vitebsk, wobei touristische Besichtigungen und Begegnungen mit Vertretern aus Kultur und Gesellschaft eine vielversprechende Mischung eingehen. Der nächste Termin ist der 29.7. bis 6.8.2011. Nähere Infos unter http://www.eol-reisen.de/destination.php?id=12

Das Stadtmuseum Kopyl

Die Direktorin führt uns durch ihr Museum.

Der Eingangsbereich des Museums erinnert mit einer kleinen Installation an die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes, wo sich im 19. Jh. eine Lederwerkstatt befand. In drei Ausstellungsräumen zeigt das Museum mit Dokumenten, Fotos und zahlreichen Originalen die Geschichte der Region Kopyl. Ein vierter Saal ist Wechselausstellungen vorbehalten.

Unter der Leitung der Direktorin, deren lebhafte und engagierte Arbeit ich bereits auf dem Forum anlässlich des Wettbewerbs „Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Erwachsenenbildung“ am 17.12.2010 in Minsk erleben konnte. wurden zwei Räume der Dauerausstellung bereits neugestaltet. Besonders hervorzuheben sind die archäologischen Ausgrabungen vom ehemaligen Schlossberg Kopyls, darunter ein seltenes chirurgisches Messer aus dem 13. Jh. und eine Kachel aus regionaler Produktion aus dem 16. Jh.

Leider ist, wie in vielen belarussischen Museen, auch hier zu beklagen, dass es weder einführende Texte noch erklärende Objektbeschriftungen gibt. Teilweise werden Objekte einfach benannt, manchmal werden Orts- und Zeitangaben gemacht, das alles in belarussisch. In keinem Fall aber werden die Geschichten erzählt, die mit den Objekten verbunden sind. Gemäß alter sowjetischer Tradition erfährt der Besucher davon nur durch eine Führung im Museum. Auf eine individuelle Erschließung und einen selbst gewählten Rundgang der Besucher sind die Museen bisher nicht eingestellt.

Das Museum verfügt über zwei Filialen im nahe gelegenen Dorf Semezhava, wo sich das Museum für den Konstrukteur Michail Vysockij und die örtliche Webstube befinden.

Die Adresse des Museums lautet: Minskaja Oblast’, Kopyl, Pl. Lenina, 1, Tel.: 80171955820.

Öffnungszeiten: Die-So 9-18. Eine eigene Website hat das Museum bisher nicht.

Auf dem Dorf: Semezhava (Semezhevo)

Dorfplatz in Semezhava

„Einmal im Jahr schaut die Welt auf unser Dorf“, so begann der Bürgermeister von Semezhava (Minsker Oblast’) seinen Toast beim abendlichen Festessen zum orthodoxen Neujahrsfest am 13. Januar. Zusammen mit dem Vertreter der UNESCO für Belarus, der nationalen Präsidentin des Internationalen Museumsbundes ICOM sowie Vertretern des Kulturministeriums, des Bezirks Kopyl sowie den örtlichen Honoratioren waren wir zu Gast bei einer Familie des Dorfes. Es war der Abend nach dem Umzug der Kalyady-Zaren, deren Schauspiel seit 2009 auf der Liste des zu schützenden Kulturerbes der UNESO steht. Noch hat nicht die ganze Welt dieses Kulturjuwel entdeckt, so dass wir einen wunderbaren Abend in sehr persönlicher und herzlicher Atmosphäre verbracht haben. Ein sicher einmaliges Erlebnis, um Kultur und Geschichte von Belarus zu erfahren.

Die Weberei und Webschule in Semezhava.

Auf Einladung der Bezirkskulturverwaltung von Kopyl, der nächstgelegenen, größeren Ortschaft, haben wir zunächst das dortige Stadtmuseum besucht. In Semezhava hatten wir nach dem Umzug der Kalyady-Zaren die Gelegenheit, das Vysockij-Museum zu besuchen sowie die örtliche Schule für Webkunst. Hier gibt die alte Generation auf alten und mit Hilfe von EU-Mitteln angeschafften, neuen Webstühlen die verschiedenen Techniken dieses Handwerks an die junge, meist weibliche Generation weiter. Die Werkstatt gehört, ebenso wie das Museum in Kopyl und andere Einrichtungen, zur sog. „grünen Route“, einem im Rahmen des belarussischen Tourismus neu konzipierten Angebot des Ökotourismus. Sie umfasst Sehenswürdigkeiten, Kulturerbe, Erholungsorte, Naturschutzgebiete sowie Folklore-Angebote in der Region Kopyl, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad besucht werden können. Interessierte erhalten nähere Informationen beim Stadtmuseum Kopyl, das leider bisher keine eigene Website hat.

Ein Museum für Michail Stepanovich Vysockij

Michail S. Vysockij 2011

Unweit von Kopyl, südlich von Minsk, in dem Dorf Semezhava (Semezhevo) befindet sich seit 2008 ein kleines Museum für den weißrussischen „Hauptkonstrukteur des Automobilbaus“ Prof. Dr. Michail Vysockij. Dies ist ein in mehrfacher Hinsicht besonderes Museum: Zum einen erfreut sich der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete, bald 83 jährige Ingenieur durchaus noch bester Gesundheit und ist damit sicher einer der wenigen Persönlichkeiten, denen bereits zu Lebzeiten ein Museum gewidmet wird. Darüber hinaus befindet sich das Museum in seinem Geburtshaus, in dem seine Eltern bis zu ihrem Tod gelebt haben. Die Einrichtung in einem der beiden Räume mit Ofen, Tisch und Ikonenecke gibt einen Eindruck von den Lebensbedingungen, in denen Vysockij aufgewachsen ist.

Uns hat er bei unserem Besuch am Abend des Umzugs der Kalyady-Zaren durch das Dorf persönlich begleitet und lebhaft von seinen Erlebnissen und Erfindungen berichtet. Die Ausstellung, formal dem Stadtmuseum Kopyl unterstellt, spiegelt sein bewegtes Leben mit Fotos, Dokumenten, Automodellen und persönlichen Gegenständen wider: Als 18jähriger kam er aus Semezhava in die Autofabrik von Minsk, wo seine Karriere begann. Unter seiner Leitung wurde zum Beispiel die Modulkonstruktion des Autozugs MAZ-2000 „Perestroika“ entwickelt, eine der Attraktionen auf dem Pariser Autosalon 1988.

Blick in einen der beiden Ausstellungsräume

Wer’s genauer wissen will, findet Informationen auf der Seite der Minsker Autofabrik: http://www.maz.by/ und der Seite der Akademie der Wissenschaften: http://nasb.gov.by/rus/members/academicians/vysotskii.php

Neuerscheinung weißrussischer Literatur in Übersetzung

Kürzlich ist der Roman des belarussischen Autors Alhierd Bacharevič, „Die Elster auf dem Galgen“, in der deutschen Übersetzung von Thomas Weiler erschienen.

Am 11.1.2010 liest der Autor im Scharfrichterhaus in Passau aus seinem Werk. Heute hat der WDR in seiner Sendung SCALA darüber berichtet. Nähere Informationen und Hinweise auf weitere Publikationen von Bacharevič bietet Thomas Weiler im Blog novinki.

Das orthodoxe Neujahrsfest: Die Kalyady-Zaren

Die Kalyady-Zaren in einem der Häuser im Dorf.

Das Ritual der „Kalyady-Zaren“ findet traditionell am 13. Januar statt. Dies ist der Beginn des neuen Jahres nach dem alten, dem julianischen Kalender.

2009 wurde die Zeremonie in dem südlich von Minsk gelegenen Dorf Semezhava in die Liste der „Intangible Cultural Heritage in Need of Urgent Safeguarding“ der UNESCO aufgenommen. Sie gehört damit zu den zu schützenden Elementen kulturellen Erbes in Belarus. Die Kalyady-Zaren sind Teil des Karnevals, ihr Zug durch das Dorf verbindet heidnische mit christlichen Elemente. In der Sowjetunion waren die Feiern seit 1937 verboten, wurden aber zunächst weiter geführt und waren unter der deutschen Besatzung wieder erlaubt. 1957 wurden sie erneut verboten. Bereits in den 80er Jahren kam es zu einer Wiederbelebun in der Region. Heute kann man das Spektakel wieder jährlich in Semezhava verfolgen.

Die Prozession, angeführt von jungen Männern in den Kostümen der Kalyady(Weihnachts)-Zaren, führt durch das Dorf, wobei Elemente eines traditionellen Schauspiels dargeboten werden. Die Zaren erhalten Geschenke und gute Wünsche von den Einwohnern. Der Besuch der Zaren wird als gutes Omen für das neue Jahr betrachtet und bringt den Häusern, in die sie einkehren, besonderes Glück.

Am 8. Januar 2011 wurde das Ritual auf Initiative des belarussischen Kulturministers im Rahmen des „Staatlichen Programms zur Förderung der Belarussischen Kultur 2011-2015“ mit dem Preis des Präsidenten der Republik Belarus ausgezeichnet.

Die Wiederbelebung und Auszeichnung der Zeremonie fügt sich in das allgemeine Bestreben, nationale Traditionen zu stärken.

Die „Jama“

Ansicht der beiden Denkmäler in der Jama.

Der heute in einem Neubaugebiet gelegene Ort gehörte zwischen 1941 und 1943 zum Minsker Ghetto. Die Jama (russisch für: Grube) war einer der Orte, an dem die deutschen Besatzer die Juden erschossen. Nach dem Krieg errichteten Überlebende einen Obelisken zur Erinnerung an die Ereignisse in der Jama. Er trägt eine jiddische Inschrift und ist wohl das einzige Denkmal dieser Art, das in der Sowjetunion bestand hatte. Ein aktives Erinnern war jedoch bis zum Beginn der 90er Jahre des 20. Jh. nicht möglich.

Im Jahre 2000 konnte in der Jama ein Denkmal des belarussischen Architekten Leonid Lewin eingeweiht werden. Es zeigt eine Reihe von gesichtslosen, schattenhaften Bronzefiguren: Opfer, die hinab in die Grube steigen.

Nähere Informationen: http://ibb.by/de/news/376

Das Minsker Ghetto

Blick auf die Gedenksteine deutscher Städte auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Minsk zur Erinnerung an die Deportationen.

Bereits kurz nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 besetzten die Deutschen Minsk. Im Zeitraum von Juli 1941 bis Oktober 1943 errichteten sie im nordöstlichen Teil der Stadt auf einem etwa zwei Quadratkilometer großen Gebiet einen abgeriegelten Bezirk, in dem die große Mehrheit der damals etwa 75.000 Juden leben mussten. Das Ghetto gehörte zu den größten in Europa mit zeitweise 30.000 bis 100.000 Menschen. Seit November 1941 wurden zudem aus den deutschen Städten Hamburg, Bremen, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Berlin und Königsberg sowie aus Wien und Brünn deportierte Juden hier untergebracht. Nicht arbeitsfähige Menschen wurden umgebracht, die übrigen zur Zwangsarbeit abkommandiert. Im August 1942 lebten noch weniger als 9.000 Menschen im Ghetto, zum Zeitpunkt der Auflösung am 21. Oktober 1943 gab es kaum Überlebende.

Die wenigen Überlebenden treffen sich heute in der Geschichtswerkstatt in Minsk und sprechen über ihre Erlebnisse. Einige von ihnen konnten mit Hilfe der Geschichtswerkstatt ihre Erinnerungen publizieren, andere geben ihre Erfahrungen an junge Menschen im Rahmen verschiedener Projekte weiter.

Portraits und Erinnerungen von Ghetto-Überlebenden finden sich unter: http://www.gwminsk.org, Link: Lebensläufe

Geschichtswerkstatt Minsk

Ein wenig versteckt und nicht leicht zu finden liegt in der Suchaja Straße 25 in Minsk die Geschichtswerkstatt, ein deutsch-belarussisches Gemeinschaftsprojekt. Der Besuch sei all jenen empfohlen, die sich für die nicht offizielle Seite der Geschichte von Belarus im Zweiten Weltkrieg interessieren. Themen der Ausstellungen und Veranstaltungen der Geschichtswerkstatt sind das Schicksal der jüdischen Bevölkerung und des Minsker Ghettos sowie des Konzentrationslagers Malyj Trostenec.

Das Gebäude der Geschichtswerkstatt.

Das Gebäude der Geschichtswerkstatt ist eines der letzten erhalten gebliebenen Baracken des Minsker Ghettos. Damals versteckten sich hier in einem unterirdischen Versteck, einer sog. Malina, 26 Menschen für die Dauer von neun Monaten vor den deutschen Besatzungstruppen. 13 von Ihnen überlebten.

Mehr Informationen unter: http://www.ibb-d.de/geschichtswerkstatt_minsk0.html und http://ibb.by/de/education/Geschichtswerkstatt. Derzeit entsteht eine neue Website, die demnächst unter www.gwminsk.org zu finden ist.